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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Mutter das Leben und ihre Krankheit nur bitterer
machst? Was kannst du für wichtige Gründe haben,
jede rechtschaffne Hand abzuweisen, die dich und die
Mutter stützen will? Antworte mir, Laurella!

Ich habe wohl einen Grund, sagte sie leise und
zögernd. Aber ich kann ihn nicht sagen.

Nicht sagen? Auch mir nicht? Nicht deinem
Beichtvater, dem du doch sonst wohl zutraust, daß
er es gut mit dir meint? Oder nicht?

Sie nickte.

So erleichtere dein Herz, Kind. Wenn du Recht
hast, will ich der Erste sein, dir Recht zu geben. Aber
du bist jung und kennst die Welt wenig, und es möchte
dich später einmal gereuen, wenn du um kindischer
Gedanken willen dein Glück verscherzt hast.

Sie warf einen flüchtigen scheuen Blick nach dem
Burschen hinüber, der emsig rudernd hinten im Kahn
saß und die wollene Mütze tief in die Stirn gezogen
hatte. Er starrte zur Seite ins Meer und schien in
seine eignen Gedanken versunken zu sein. Der Pfarrer
sah ihren Blick und neigte sein Ohr näher zu ihr.

Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüsterte
sie, und ihre Augen sahen finster.

Deinen Vater? Er starb ja, denk' ich, da du
kaum zehn Jahr alt warst. Was hat dein Vater,
dessen Seele im Paradiese sein möge, mit deinem
Eigensinn zu schaffen?

7 *

Mutter das Leben und ihre Krankheit nur bitterer
machſt? Was kannſt du für wichtige Gründe haben,
jede rechtſchaffne Hand abzuweiſen, die dich und die
Mutter ſtützen will? Antworte mir, Laurella!

Ich habe wohl einen Grund, ſagte ſie leiſe und
zögernd. Aber ich kann ihn nicht ſagen.

Nicht ſagen? Auch mir nicht? Nicht deinem
Beichtvater, dem du doch ſonſt wohl zutrauſt, daß
er es gut mit dir meint? Oder nicht?

Sie nickte.

So erleichtere dein Herz, Kind. Wenn du Recht
haſt, will ich der Erſte ſein, dir Recht zu geben. Aber
du biſt jung und kennſt die Welt wenig, und es möchte
dich ſpäter einmal gereuen, wenn du um kindiſcher
Gedanken willen dein Glück verſcherzt haſt.

Sie warf einen flüchtigen ſcheuen Blick nach dem
Burſchen hinüber, der emſig rudernd hinten im Kahn
ſaß und die wollene Mütze tief in die Stirn gezogen
hatte. Er ſtarrte zur Seite ins Meer und ſchien in
ſeine eignen Gedanken verſunken zu ſein. Der Pfarrer
ſah ihren Blick und neigte ſein Ohr näher zu ihr.

Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüſterte
ſie, und ihre Augen ſahen finſter.

Deinen Vater? Er ſtarb ja, denk' ich, da du
kaum zehn Jahr alt warſt. Was hat dein Vater,
deſſen Seele im Paradieſe ſein möge, mit deinem
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7 *
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[99/0111] Mutter das Leben und ihre Krankheit nur bitterer machſt? Was kannſt du für wichtige Gründe haben, jede rechtſchaffne Hand abzuweiſen, die dich und die Mutter ſtützen will? Antworte mir, Laurella! Ich habe wohl einen Grund, ſagte ſie leiſe und zögernd. Aber ich kann ihn nicht ſagen. Nicht ſagen? Auch mir nicht? Nicht deinem Beichtvater, dem du doch ſonſt wohl zutrauſt, daß er es gut mit dir meint? Oder nicht? Sie nickte. So erleichtere dein Herz, Kind. Wenn du Recht haſt, will ich der Erſte ſein, dir Recht zu geben. Aber du biſt jung und kennſt die Welt wenig, und es möchte dich ſpäter einmal gereuen, wenn du um kindiſcher Gedanken willen dein Glück verſcherzt haſt. Sie warf einen flüchtigen ſcheuen Blick nach dem Burſchen hinüber, der emſig rudernd hinten im Kahn ſaß und die wollene Mütze tief in die Stirn gezogen hatte. Er ſtarrte zur Seite ins Meer und ſchien in ſeine eignen Gedanken verſunken zu ſein. Der Pfarrer ſah ihren Blick und neigte ſein Ohr näher zu ihr. Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüſterte ſie, und ihre Augen ſahen finſter. Deinen Vater? Er ſtarb ja, denk' ich, da du kaum zehn Jahr alt warſt. Was hat dein Vater, deſſen Seele im Paradieſe ſein möge, mit deinem Eigenſinn zu ſchaffen? 7 *

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/111>, abgerufen am 20.04.2024.