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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Padre nicht versprochen hat, sie drüben zu besuchen,
daß sie ihm beichten kann. Denn es ist erstaunlich,
was sie auf ihn hält. Und wir können uns segnen,
daß wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie
ein Erzbischof und dem die hohen Herrschaften nach¬
fragen. Die Madonna sei mit ihm! -- Und damit
winkte sie zum Schiffchen hinunter, das eben abstoßen
wollte.

Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn?
fragte der kleine Priester und sah bedenklich nach
Neapel hinüber.

Die Sonne ist noch nicht heraus, erwiederte der
Bursch. Mit dem bischen Nebel wird sie schon fer¬
tig werden.

So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.

Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um
die Barke ins Freie zu treiben, als er plötzlich inne
hielt und nach der Höhe des steilen Weges hinaufsah,
der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hin¬
abführt.

Eine schlanke Mädchengestalt ward oben sichtbar,
die eilig die Steine hinabschritt und mit einem Tuch
winkte. Sie trug ein Bündelchen unterm Arm, und
ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte sie eine
fast vornehme, nur etwas wilde Art den Kopf in
den Nacken zu werfen, und die schwarze Flechte, die
sie vorn über der Stirn umgeschlungen trug, stand
ihr wie ein Diadem.

Padre nicht verſprochen hat, ſie drüben zu beſuchen,
daß ſie ihm beichten kann. Denn es iſt erſtaunlich,
was ſie auf ihn hält. Und wir können uns ſegnen,
daß wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie
ein Erzbiſchof und dem die hohen Herrſchaften nach¬
fragen. Die Madonna ſei mit ihm! — Und damit
winkte ſie zum Schiffchen hinunter, das eben abſtoßen
wollte.

Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn?
fragte der kleine Prieſter und ſah bedenklich nach
Neapel hinüber.

Die Sonne iſt noch nicht heraus, erwiederte der
Burſch. Mit dem bischen Nebel wird ſie ſchon fer¬
tig werden.

So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.

Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um
die Barke ins Freie zu treiben, als er plötzlich inne
hielt und nach der Höhe des ſteilen Weges hinaufſah,
der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hin¬
abführt.

Eine ſchlanke Mädchengeſtalt ward oben ſichtbar,
die eilig die Steine hinabſchritt und mit einem Tuch
winkte. Sie trug ein Bündelchen unterm Arm, und
ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte ſie eine
faſt vornehme, nur etwas wilde Art den Kopf in
den Nacken zu werfen, und die ſchwarze Flechte, die
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ihr wie ein Diadem.

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[93/0105] Padre nicht verſprochen hat, ſie drüben zu beſuchen, daß ſie ihm beichten kann. Denn es iſt erſtaunlich, was ſie auf ihn hält. Und wir können uns ſegnen, daß wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie ein Erzbiſchof und dem die hohen Herrſchaften nach¬ fragen. Die Madonna ſei mit ihm! — Und damit winkte ſie zum Schiffchen hinunter, das eben abſtoßen wollte. Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn? fragte der kleine Prieſter und ſah bedenklich nach Neapel hinüber. Die Sonne iſt noch nicht heraus, erwiederte der Burſch. Mit dem bischen Nebel wird ſie ſchon fer¬ tig werden. So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen. Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um die Barke ins Freie zu treiben, als er plötzlich inne hielt und nach der Höhe des ſteilen Weges hinaufſah, der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hin¬ abführt. Eine ſchlanke Mädchengeſtalt ward oben ſichtbar, die eilig die Steine hinabſchritt und mit einem Tuch winkte. Sie trug ein Bündelchen unterm Arm, und ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte ſie eine faſt vornehme, nur etwas wilde Art den Kopf in den Nacken zu werfen, und die ſchwarze Flechte, die ſie vorn über der Stirn umgeſchlungen trug, ſtand ihr wie ein Diadem.

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/105>, abgerufen am 25.04.2024.