Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern stumm neben einander hergingen, sie wußten nicht, wohin. Der Zufall führte sie aber so günstig, daß sie bald wieder bewohnte Gegenden und ein Stadtviertel erreichten, welches ihnen bekannt war. Sie eilten nun ihrer Wohnung zu, die aber sehr entfernt war, so daß sie erst gegen Morgen bei derselben ankamen, sich höchst ermüdet, ja schlaftrunken entkleideten, sich zu Bette legten und alsbald in einen leisen Schlummer verfielen, aus welchem Einer von ihnen, welchen wir Eduard nennen, erst erwachte, als die Sonne schon ziemlich hoch stand. Ehe er sich völlig ermunterte, fühlte er auf einem seiner Finger einen kleinen ungewohnten Druck. Er riß sich aus seinem Halbschlummer und entdeckte als Ursache dieses Druckes einen kostbaren Ring, bestehend aus einem geschnittenen Steine, schwer, doch zierlich in das feinste Gold gefaßt. Der Stein war ein grünlicher Onyx mit weißer Schichte und zeigte in erhabener vortrefflicher Arbeit die Gestalt des Diogenes mit der Leuchte in der Hand, als suche er einen Menschen, der bekannten Erzählung gemäß. Auf die Goldeinfassung war, vermuthlich beziehungsweise, das Wort frustra (vergeblich) eingegraben.

Die Ueberraschung der beiden Freunde braucht nicht geschildert zu werden. -- Sollte dieses durch Kostbarkeit und seltenen Kunstwerth ausgezeichnete Kleinod von einem Menschen herrühren, der, was er auch sein mochte, der untersten Klasse des Pöbels

sondern stumm neben einander hergingen, sie wußten nicht, wohin. Der Zufall führte sie aber so günstig, daß sie bald wieder bewohnte Gegenden und ein Stadtviertel erreichten, welches ihnen bekannt war. Sie eilten nun ihrer Wohnung zu, die aber sehr entfernt war, so daß sie erst gegen Morgen bei derselben ankamen, sich höchst ermüdet, ja schlaftrunken entkleideten, sich zu Bette legten und alsbald in einen leisen Schlummer verfielen, aus welchem Einer von ihnen, welchen wir Eduard nennen, erst erwachte, als die Sonne schon ziemlich hoch stand. Ehe er sich völlig ermunterte, fühlte er auf einem seiner Finger einen kleinen ungewohnten Druck. Er riß sich aus seinem Halbschlummer und entdeckte als Ursache dieses Druckes einen kostbaren Ring, bestehend aus einem geschnittenen Steine, schwer, doch zierlich in das feinste Gold gefaßt. Der Stein war ein grünlicher Onyx mit weißer Schichte und zeigte in erhabener vortrefflicher Arbeit die Gestalt des Diogenes mit der Leuchte in der Hand, als suche er einen Menschen, der bekannten Erzählung gemäß. Auf die Goldeinfassung war, vermuthlich beziehungsweise, das Wort frustra (vergeblich) eingegraben.

Die Ueberraschung der beiden Freunde braucht nicht geschildert zu werden. — Sollte dieses durch Kostbarkeit und seltenen Kunstwerth ausgezeichnete Kleinod von einem Menschen herrühren, der, was er auch sein mochte, der untersten Klasse des Pöbels

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0015"/>
sondern stumm neben                einander hergingen, sie wußten nicht, wohin. Der Zufall führte sie aber so günstig,                daß sie bald wieder bewohnte Gegenden und ein Stadtviertel erreichten, welches ihnen                bekannt war. Sie eilten nun ihrer Wohnung zu, die aber sehr entfernt war, so daß sie                erst gegen Morgen bei derselben ankamen, sich höchst ermüdet, ja schlaftrunken                entkleideten, sich zu Bette legten und alsbald in einen leisen Schlummer verfielen,                aus welchem Einer von ihnen, welchen wir Eduard nennen, erst erwachte, als die Sonne                schon ziemlich hoch stand. Ehe er sich völlig ermunterte, fühlte er auf einem seiner                Finger einen kleinen ungewohnten Druck. Er riß sich aus seinem Halbschlummer und                entdeckte als Ursache dieses Druckes einen kostbaren Ring, bestehend aus einem                geschnittenen Steine, schwer, doch zierlich in das feinste Gold gefaßt. Der Stein war                ein grünlicher Onyx mit weißer Schichte und zeigte in erhabener vortrefflicher Arbeit                die Gestalt des Diogenes mit der Leuchte in der Hand, als suche er einen Menschen,                der bekannten Erzählung gemäß. Auf die Goldeinfassung war, vermuthlich                beziehungsweise, das Wort frustra (vergeblich) eingegraben.</p><lb/>
        <p>Die Ueberraschung der beiden Freunde braucht nicht geschildert zu werden. &#x2014; Sollte                dieses durch Kostbarkeit und seltenen Kunstwerth ausgezeichnete Kleinod von einem                Menschen herrühren, der, was er auch sein mochte, der untersten Klasse des Pöbels<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] sondern stumm neben einander hergingen, sie wußten nicht, wohin. Der Zufall führte sie aber so günstig, daß sie bald wieder bewohnte Gegenden und ein Stadtviertel erreichten, welches ihnen bekannt war. Sie eilten nun ihrer Wohnung zu, die aber sehr entfernt war, so daß sie erst gegen Morgen bei derselben ankamen, sich höchst ermüdet, ja schlaftrunken entkleideten, sich zu Bette legten und alsbald in einen leisen Schlummer verfielen, aus welchem Einer von ihnen, welchen wir Eduard nennen, erst erwachte, als die Sonne schon ziemlich hoch stand. Ehe er sich völlig ermunterte, fühlte er auf einem seiner Finger einen kleinen ungewohnten Druck. Er riß sich aus seinem Halbschlummer und entdeckte als Ursache dieses Druckes einen kostbaren Ring, bestehend aus einem geschnittenen Steine, schwer, doch zierlich in das feinste Gold gefaßt. Der Stein war ein grünlicher Onyx mit weißer Schichte und zeigte in erhabener vortrefflicher Arbeit die Gestalt des Diogenes mit der Leuchte in der Hand, als suche er einen Menschen, der bekannten Erzählung gemäß. Auf die Goldeinfassung war, vermuthlich beziehungsweise, das Wort frustra (vergeblich) eingegraben. Die Ueberraschung der beiden Freunde braucht nicht geschildert zu werden. — Sollte dieses durch Kostbarkeit und seltenen Kunstwerth ausgezeichnete Kleinod von einem Menschen herrühren, der, was er auch sein mochte, der untersten Klasse des Pöbels

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:12:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:12:58Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/15
Zitationshilfe: Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/15>, abgerufen am 29.03.2024.