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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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Seele im Körper darzustellen, Götter, Menschen
und edle Thiere, das bilde die Kunst und das hat
sie gebildet. -- Wer aber mit hoher idealischer
Strenge dies Gesetz abermals den Schilderern,
den Mahlern der großen Naturtafel aufbürdet,
der greife ja nach seinem Kopfe, wie Er etwa zu
schildern wäre.

Endlich die Bildnerei ist Wahrheit, die Mah-
lerei Traum: jene ganz Darstellung, diese er-
zählender Zauber, welch ein Unterschied! und wie
wenig stehen sie auf Einem Grunde! Eine Bild-
säule kann mich umfassen, daß ich vor ihr knie,
ihr Freund und Gespiele werde, sie ist gegenwär-
tig,
sie ist da. Die schönste Mahlerei ist Roman,
Traum eines Traumes. Sie kann mich mit sich
verschweben, Augenblicke gegenwärtig werden und
wie ein Engel in Licht gekleidet, mich mit sich fort-
ziehn; aber der Eindruck ist anders als er dort
war. Der Lichtstral weicht hin, es ist Glanz,
Bild, Gedanke, Farbe.
-- Jch kann mir kei-
nen Theoristen, der Mensch ist, vorstellen, und sich
die zwo Sachen auf Einem Grunde denket.

Lasset uns einige andere Fragen sehen, die als
Alterkationen zwischen beiden Künsten oft aufge-
worfen, zum Theil schlecht beantwortet sind und sich
aus unserm Gesichtspunkt sonnenklar ergeben.



Zwei-

Seele im Koͤrper darzuſtellen, Goͤtter, Menſchen
und edle Thiere, das bilde die Kunſt und das hat
ſie gebildet. — Wer aber mit hoher idealiſcher
Strenge dies Geſetz abermals den Schilderern,
den Mahlern der großen Naturtafel aufbuͤrdet,
der greife ja nach ſeinem Kopfe, wie Er etwa zu
ſchildern waͤre.

Endlich die Bildnerei iſt Wahrheit, die Mah-
lerei Traum: jene ganz Darſtellung, dieſe er-
zaͤhlender Zauber, welch ein Unterſchied! und wie
wenig ſtehen ſie auf Einem Grunde! Eine Bild-
ſaͤule kann mich umfaſſen, daß ich vor ihr knie,
ihr Freund und Geſpiele werde, ſie iſt gegenwaͤr-
tig,
ſie iſt da. Die ſchoͤnſte Mahlerei iſt Roman,
Traum eines Traumes. Sie kann mich mit ſich
verſchweben, Augenblicke gegenwaͤrtig werden und
wie ein Engel in Licht gekleidet, mich mit ſich fort-
ziehn; aber der Eindruck iſt anders als er dort
war. Der Lichtſtral weicht hin, es iſt Glanz,
Bild, Gedanke, Farbe.
— Jch kann mir kei-
nen Theoriſten, der Menſch iſt, vorſtellen, und ſich
die zwo Sachen auf Einem Grunde denket.

Laſſet uns einige andere Fragen ſehen, die als
Alterkationen zwiſchen beiden Kuͤnſten oft aufge-
worfen, zum Theil ſchlecht beantwortet ſind und ſich
aus unſerm Geſichtspunkt ſonnenklar ergeben.



Zwei-
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[28/0031] Seele im Koͤrper darzuſtellen, Goͤtter, Menſchen und edle Thiere, das bilde die Kunſt und das hat ſie gebildet. — Wer aber mit hoher idealiſcher Strenge dies Geſetz abermals den Schilderern, den Mahlern der großen Naturtafel aufbuͤrdet, der greife ja nach ſeinem Kopfe, wie Er etwa zu ſchildern waͤre. Endlich die Bildnerei iſt Wahrheit, die Mah- lerei Traum: jene ganz Darſtellung, dieſe er- zaͤhlender Zauber, welch ein Unterſchied! und wie wenig ſtehen ſie auf Einem Grunde! Eine Bild- ſaͤule kann mich umfaſſen, daß ich vor ihr knie, ihr Freund und Geſpiele werde, ſie iſt gegenwaͤr- tig, ſie iſt da. Die ſchoͤnſte Mahlerei iſt Roman, Traum eines Traumes. Sie kann mich mit ſich verſchweben, Augenblicke gegenwaͤrtig werden und wie ein Engel in Licht gekleidet, mich mit ſich fort- ziehn; aber der Eindruck iſt anders als er dort war. Der Lichtſtral weicht hin, es iſt Glanz, Bild, Gedanke, Farbe. — Jch kann mir kei- nen Theoriſten, der Menſch iſt, vorſtellen, und ſich die zwo Sachen auf Einem Grunde denket. Laſſet uns einige andere Fragen ſehen, die als Alterkationen zwiſchen beiden Kuͤnſten oft aufge- worfen, zum Theil ſchlecht beantwortet ſind und ſich aus unſerm Geſichtspunkt ſonnenklar ergeben. Zwei-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/31>, abgerufen am 16.04.2024.