Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

scher Hoffnungen sang man Eine große
Hoffnung, die Erwartung der Ankunft
des Richters über Lebendige und
Todte
, mit welcher die Gesammtherrschaft
in seinem Reiche wesentlich verknüpft war.
Jahrhunderte lang hielt man diese Ankunft
für nah; alle traurige Zeichen der Zeit, an
denen man großentheils selbst Schuld war,
wurden auf sie gedeutet; und ungeheure
Dinge, Verfolgungen, Schenkungen, Kriege
wurden durch sie befördert. Hymnen an
die Märtyrer, Hoffnungen der Auferstehung
und der Wiederkunft Christi machen also
einen großen Theil der Dichtkunst dieser
Zeiten aus; sie waren auch eine mächtige
Triebfeder. Von heidnischer Poesie mochte
untergehen was untergehen wollte; was
man rettete, ward etwa der Sprache, der
Sylbenmaaße, der späteren platonischen Phi-
losophie oder zufällig eines dem Christen-

thum

ſcher Hoffnungen ſang man Eine große
Hoffnung, die Erwartung der Ankunft
des Richters uͤber Lebendige und
Todte
, mit welcher die Geſammtherrſchaft
in ſeinem Reiche weſentlich verknuͤpft war.
Jahrhunderte lang hielt man dieſe Ankunft
fuͤr nah; alle traurige Zeichen der Zeit, an
denen man großentheils ſelbſt Schuld war,
wurden auf ſie gedeutet; und ungeheure
Dinge, Verfolgungen, Schenkungen, Kriege
wurden durch ſie befoͤrdert. Hymnen an
die Maͤrtyrer, Hoffnungen der Auferſtehung
und der Wiederkunft Chriſti machen alſo
einen großen Theil der Dichtkunſt dieſer
Zeiten aus; ſie waren auch eine maͤchtige
Triebfeder. Von heidniſcher Poeſie mochte
untergehen was untergehen wollte; was
man rettete, ward etwa der Sprache, der
Sylbenmaaße, der ſpaͤteren platoniſchen Phi-
loſophie oder zufaͤllig eines dem Chriſten-

thum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="32"/>
&#x017F;cher Hoffnungen &#x017F;ang man Eine große<lb/>
Hoffnung, die <hi rendition="#g">Erwartung der Ankunft<lb/>
des Richters u&#x0364;ber Lebendige und<lb/>
Todte</hi>, mit welcher die Ge&#x017F;ammtherr&#x017F;chaft<lb/>
in &#x017F;einem Reiche we&#x017F;entlich verknu&#x0364;pft war.<lb/>
Jahrhunderte lang hielt man die&#x017F;e Ankunft<lb/>
fu&#x0364;r nah; alle traurige Zeichen der Zeit, an<lb/>
denen man großentheils &#x017F;elb&#x017F;t Schuld war,<lb/>
wurden auf &#x017F;ie gedeutet; und ungeheure<lb/>
Dinge, Verfolgungen, Schenkungen, Kriege<lb/>
wurden durch &#x017F;ie befo&#x0364;rdert. Hymnen an<lb/>
die Ma&#x0364;rtyrer, Hoffnungen der Aufer&#x017F;tehung<lb/>
und der Wiederkunft Chri&#x017F;ti machen al&#x017F;o<lb/>
einen großen Theil der Dichtkun&#x017F;t die&#x017F;er<lb/>
Zeiten aus; &#x017F;ie waren auch eine ma&#x0364;chtige<lb/>
Triebfeder. Von heidni&#x017F;cher Poe&#x017F;ie mochte<lb/>
untergehen was untergehen wollte; was<lb/>
man rettete, ward etwa der Sprache, der<lb/>
Sylbenmaaße, der &#x017F;pa&#x0364;teren platoni&#x017F;chen Phi-<lb/>
lo&#x017F;ophie oder zufa&#x0364;llig eines dem Chri&#x017F;ten-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">thum</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0049] ſcher Hoffnungen ſang man Eine große Hoffnung, die Erwartung der Ankunft des Richters uͤber Lebendige und Todte, mit welcher die Geſammtherrſchaft in ſeinem Reiche weſentlich verknuͤpft war. Jahrhunderte lang hielt man dieſe Ankunft fuͤr nah; alle traurige Zeichen der Zeit, an denen man großentheils ſelbſt Schuld war, wurden auf ſie gedeutet; und ungeheure Dinge, Verfolgungen, Schenkungen, Kriege wurden durch ſie befoͤrdert. Hymnen an die Maͤrtyrer, Hoffnungen der Auferſtehung und der Wiederkunft Chriſti machen alſo einen großen Theil der Dichtkunſt dieſer Zeiten aus; ſie waren auch eine maͤchtige Triebfeder. Von heidniſcher Poeſie mochte untergehen was untergehen wollte; was man rettete, ward etwa der Sprache, der Sylbenmaaße, der ſpaͤteren platoniſchen Phi- loſophie oder zufaͤllig eines dem Chriſten- thum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/49
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/49>, abgerufen am 28.03.2024.