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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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täglich- und ewig Bekannte soll hier
das Gepräge der Wahrheit seyn. Der Ge-
sang soll ein ambrosisches Opfer der Natur
werden, unsterblich und wiederkehrend, wie
diese.

Es ergiebt sich hieraus, daß, da man
bei christlichen Hymnen auf die Schönheit
eines klassischen Ausdrucks, auf die Anmuth
der Empfindung im gegenwärtigen Moment,
kurz auf die Wirkung eines eigentlichen
Kunstwerks gar nicht rechnete, diese Ge-
sänge, sobald sie eingeführt waren, die
sonderbarsten Folgen haben musten. Wie
nämlich die Hand der Christen Bildsäulen
und Tempel der Götter dem unsichtbaren
Gott zu Ehren zerstörte: so hielten diese
Hymnen auch einen Keim in sich, der den
heidnischen Gesängen den Tod bringen sollte.
Nicht nur wurden von den Christen jene
Hymnen an Götter und Göttinnen, an

taͤglich- und ewig Bekannte ſoll hier
das Gepraͤge der Wahrheit ſeyn. Der Ge-
ſang ſoll ein ambroſiſches Opfer der Natur
werden, unſterblich und wiederkehrend, wie
dieſe.

Es ergiebt ſich hieraus, daß, da man
bei chriſtlichen Hymnen auf die Schoͤnheit
eines klaſſiſchen Ausdrucks, auf die Anmuth
der Empfindung im gegenwaͤrtigen Moment,
kurz auf die Wirkung eines eigentlichen
Kunſtwerks gar nicht rechnete, dieſe Ge-
ſaͤnge, ſobald ſie eingefuͤhrt waren, die
ſonderbarſten Folgen haben muſten. Wie
naͤmlich die Hand der Chriſten Bildſaͤulen
und Tempel der Goͤtter dem unſichtbaren
Gott zu Ehren zerſtoͤrte: ſo hielten dieſe
Hymnen auch einen Keim in ſich, der den
heidniſchen Geſaͤngen den Tod bringen ſollte.
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Hymnen an Goͤtter und Goͤttinnen, an

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[29/0046] taͤglich- und ewig Bekannte ſoll hier das Gepraͤge der Wahrheit ſeyn. Der Ge- ſang ſoll ein ambroſiſches Opfer der Natur werden, unſterblich und wiederkehrend, wie dieſe. Es ergiebt ſich hieraus, daß, da man bei chriſtlichen Hymnen auf die Schoͤnheit eines klaſſiſchen Ausdrucks, auf die Anmuth der Empfindung im gegenwaͤrtigen Moment, kurz auf die Wirkung eines eigentlichen Kunſtwerks gar nicht rechnete, dieſe Ge- ſaͤnge, ſobald ſie eingefuͤhrt waren, die ſonderbarſten Folgen haben muſten. Wie naͤmlich die Hand der Chriſten Bildſaͤulen und Tempel der Goͤtter dem unſichtbaren Gott zu Ehren zerſtoͤrte: ſo hielten dieſe Hymnen auch einen Keim in ſich, der den heidniſchen Geſaͤngen den Tod bringen ſollte. Nicht nur wurden von den Chriſten jene Hymnen an Goͤtter und Goͤttinnen, an

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/46>, abgerufen am 29.03.2024.