Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

se Bilder? diese so groß und rein und rich-
tig bestimmten Menschen-Ideale?" --
Und antworte mir selber: "viel! sehr viel!"

Dort nahm Pallas dem Diomed
die Wolke vom Auge hinweg, daß er ei-
nen Gott und einen Sterblichen unterschei-
den konnte; eben diese Wohlthat wird
uns durch dies Studium der griechischen
Kunst gewähret. Leibhaft wandeln unter
uns keine Apollo's und Dianen umher;
jene Anlagen des Charakters aber, die ei-
ne Diane oder Vestale, eine Ariadne oder
Anadyomene, einen Merkur, Bacchus,
Apollo im höchsten Ideal gaben, sind in
zerstreueten, oft sehr verworrenen Zügen
vor uns. Diese Anlagen nur zu erkennen,
ist eine Charakteristik menschlicher Denkar-
ten und Seelenformen nöthig, die sich
auf wilden Wegen schwerlich erlangen
läßt. Sind Linneus genera plantarum

ſe Bilder? dieſe ſo groß und rein und rich-
tig beſtimmten Menſchen-Ideale?“ —
Und antworte mir ſelber: „viel! ſehr viel!“

Dort nahm Pallas dem Diomed
die Wolke vom Auge hinweg, daß er ei-
nen Gott und einen Sterblichen unterſchei-
den konnte; eben dieſe Wohlthat wird
uns durch dies Studium der griechiſchen
Kunſt gewaͤhret. Leibhaft wandeln unter
uns keine Apollo's und Dianen umher;
jene Anlagen des Charakters aber, die ei-
ne Diane oder Veſtale, eine Ariadne oder
Anadyomene, einen Merkur, Bacchus,
Apollo im hoͤchſten Ideal gaben, ſind in
zerſtreueten, oft ſehr verworrenen Zuͤgen
vor uns. Dieſe Anlagen nur zu erkennen,
iſt eine Charakteriſtik menſchlicher Denkar-
ten und Seelenformen noͤthig, die ſich
auf wilden Wegen ſchwerlich erlangen
laͤßt. Sind Linneus genera plantarum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="43"/>
&#x017F;e Bilder? die&#x017F;e &#x017F;o groß und rein und rich-<lb/>
tig be&#x017F;timmten Men&#x017F;chen-Ideale?&#x201C; &#x2014;<lb/>
Und antworte mir &#x017F;elber: &#x201E;viel! &#x017F;ehr viel!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Dort nahm <hi rendition="#g">Pallas</hi> dem <hi rendition="#g">Diomed</hi><lb/>
die Wolke vom Auge hinweg, daß er ei-<lb/>
nen Gott und einen Sterblichen unter&#x017F;chei-<lb/>
den konnte; eben die&#x017F;e Wohlthat wird<lb/>
uns durch dies Studium der griechi&#x017F;chen<lb/>
Kun&#x017F;t gewa&#x0364;hret. Leibhaft wandeln unter<lb/>
uns keine Apollo's und Dianen umher;<lb/>
jene Anlagen des Charakters aber, die ei-<lb/>
ne Diane oder Ve&#x017F;tale, eine Ariadne oder<lb/>
Anadyomene, einen Merkur, Bacchus,<lb/>
Apollo im ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ideal gaben, &#x017F;ind in<lb/><choice><sic>zer&#x017F;teueten</sic><corr>zer&#x017F;treueten</corr></choice>, oft &#x017F;ehr verworrenen Zu&#x0364;gen<lb/>
vor uns. Die&#x017F;e Anlagen nur zu erkennen,<lb/>
i&#x017F;t eine Charakteri&#x017F;tik men&#x017F;chlicher Denkar-<lb/>
ten und Seelenformen no&#x0364;thig, die &#x017F;ich<lb/>
auf wilden Wegen &#x017F;chwerlich erlangen<lb/>
la&#x0364;ßt. Sind <hi rendition="#g">Linneus</hi> <hi rendition="#aq">genera plantarum</hi><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0058] ſe Bilder? dieſe ſo groß und rein und rich- tig beſtimmten Menſchen-Ideale?“ — Und antworte mir ſelber: „viel! ſehr viel!“ Dort nahm Pallas dem Diomed die Wolke vom Auge hinweg, daß er ei- nen Gott und einen Sterblichen unterſchei- den konnte; eben dieſe Wohlthat wird uns durch dies Studium der griechiſchen Kunſt gewaͤhret. Leibhaft wandeln unter uns keine Apollo's und Dianen umher; jene Anlagen des Charakters aber, die ei- ne Diane oder Veſtale, eine Ariadne oder Anadyomene, einen Merkur, Bacchus, Apollo im hoͤchſten Ideal gaben, ſind in zerſtreueten, oft ſehr verworrenen Zuͤgen vor uns. Dieſe Anlagen nur zu erkennen, iſt eine Charakteriſtik menſchlicher Denkar- ten und Seelenformen noͤthig, die ſich auf wilden Wegen ſchwerlich erlangen laͤßt. Sind Linneus genera plantarum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/58
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/58>, abgerufen am 19.04.2024.