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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

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und schaffet mit seinen Händen. Das
höchst-ästhetische Geschöpf der Erde
mußte also auch ein nachahmendes, ord-
nendes, darstellendes, ein poetisches und
politisches Geschöpf werden. Denn da
seine Natur selbst gleichsam die höchste
Kunst der großen Natur ist, die in ihm
nach der höchsten Wirkung strebet; so muß-
te diese sich in der Menschheit offenbaren.
Der Bildner unsrer Gedanken, unsrer Sit-
ten, unsrer Verfassung, ist ein Künstler;
sollte also, da Kunst der Inbegrif und
Zweck unsrer Natur ist, die Kunst, die
sich mit dem Gebilde des Menschen
und allen ihm einwohnenden Kräf
-
ten darstellend beschäftigt, für die Mensch-
heit von keinem Werth seyn?

Von einem sehr hohen Werthe. Sie
hat nicht nur Gedanken, sondern Gedan-
kenformen, ewige Charaktere sicht-

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und ſchaffet mit ſeinen Haͤnden. Das
hoͤchſt-aͤſthetiſche Geſchoͤpf der Erde
mußte alſo auch ein nachahmendes, ord-
nendes, darſtellendes, ein poetiſches und
politiſches Geſchoͤpf werden. Denn da
ſeine Natur ſelbſt gleichſam die hoͤchſte
Kunſt der großen Natur iſt, die in ihm
nach der hoͤchſten Wirkung ſtrebet; ſo muß-
te dieſe ſich in der Menſchheit offenbaren.
Der Bildner unſrer Gedanken, unſrer Sit-
ten, unſrer Verfaſſung, iſt ein Kuͤnſtler;
ſollte alſo, da Kunſt der Inbegrif und
Zweck unſrer Natur iſt, die Kunſt, die
ſich mit dem Gebilde des Menſchen
und allen ihm einwohnenden Kraͤf
-
ten darſtellend beſchaͤftigt, fuͤr die Menſch-
heit von keinem Werth ſeyn?

Von einem ſehr hohen Werthe. Sie
hat nicht nur Gedanken, ſondern Gedan-
kenformen, ewige Charaktere ſicht-

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[3/0018] und ſchaffet mit ſeinen Haͤnden. Das hoͤchſt-aͤſthetiſche Geſchoͤpf der Erde mußte alſo auch ein nachahmendes, ord- nendes, darſtellendes, ein poetiſches und politiſches Geſchoͤpf werden. Denn da ſeine Natur ſelbſt gleichſam die hoͤchſte Kunſt der großen Natur iſt, die in ihm nach der hoͤchſten Wirkung ſtrebet; ſo muß- te dieſe ſich in der Menſchheit offenbaren. Der Bildner unſrer Gedanken, unſrer Sit- ten, unſrer Verfaſſung, iſt ein Kuͤnſtler; ſollte alſo, da Kunſt der Inbegrif und Zweck unſrer Natur iſt, die Kunſt, die ſich mit dem Gebilde des Menſchen und allen ihm einwohnenden Kraͤf- ten darſtellend beſchaͤftigt, fuͤr die Menſch- heit von keinem Werth ſeyn? Von einem ſehr hohen Werthe. Sie hat nicht nur Gedanken, ſondern Gedan- kenformen, ewige Charaktere ſicht- A 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/18>, abgerufen am 19.04.2024.