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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

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Welt während der barbarischen Jahrhun-
derte nicht geschlafen; Völker, Sitten,
Ideen hatten sich mannigfaltig gemischt
und geläutert; von diesem vielleicht etwas
dumpfen, aber nicht verwerflichen Ge-
schmack zeugt schon die ältere florentinische
Schule. Raphael klärte ihn durch For-
men der Alten, ganz in eigner Weise,
auf; andre Glückliche folgten. Selbst die
Uebertreibungen des Julio Romano
und mehrerer seines Gleichen zeigen in ihrer
Trunkenheit einen Reichthum neuer Be-
griffe, obwohl ohne Maas und Ziel; eini-
ge neuerfundene Gehülfskünste gaben oh-
nedies dem Ganzen eine andre Ansicht.
Welch ein schöner, fast noch unberührter
Kranz blühet für den, der Raphaels
Genius in seiner eignen holdseligen Ge-
stalt durch alle seine Werke verfolgen, und
aufs bestimmteste zeigen wird, was Er

Welt waͤhrend der barbariſchen Jahrhun-
derte nicht geſchlafen; Voͤlker, Sitten,
Ideen hatten ſich mannigfaltig gemiſcht
und gelaͤutert; von dieſem vielleicht etwas
dumpfen, aber nicht verwerflichen Ge-
ſchmack zeugt ſchon die aͤltere florentiniſche
Schule. Raphael klaͤrte ihn durch For-
men der Alten, ganz in eigner Weiſe,
auf; andre Gluͤckliche folgten. Selbſt die
Uebertreibungen des Julio Romano
und mehrerer ſeines Gleichen zeigen in ihrer
Trunkenheit einen Reichthum neuer Be-
griffe, obwohl ohne Maas und Ziel; eini-
ge neuerfundene Gehuͤlfskuͤnſte gaben oh-
nedies dem Ganzen eine andre Anſicht.
Welch ein ſchoͤner, faſt noch unberuͤhrter
Kranz bluͤhet fuͤr den, der Raphaels
Genius in ſeiner eignen holdſeligen Ge-
ſtalt durch alle ſeine Werke verfolgen, und
aufs beſtimmteſte zeigen wird, was Er

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[135/0150] Welt waͤhrend der barbariſchen Jahrhun- derte nicht geſchlafen; Voͤlker, Sitten, Ideen hatten ſich mannigfaltig gemiſcht und gelaͤutert; von dieſem vielleicht etwas dumpfen, aber nicht verwerflichen Ge- ſchmack zeugt ſchon die aͤltere florentiniſche Schule. Raphael klaͤrte ihn durch For- men der Alten, ganz in eigner Weiſe, auf; andre Gluͤckliche folgten. Selbſt die Uebertreibungen des Julio Romano und mehrerer ſeines Gleichen zeigen in ihrer Trunkenheit einen Reichthum neuer Be- griffe, obwohl ohne Maas und Ziel; eini- ge neuerfundene Gehuͤlfskuͤnſte gaben oh- nedies dem Ganzen eine andre Anſicht. Welch ein ſchoͤner, faſt noch unberuͤhrter Kranz bluͤhet fuͤr den, der Raphaels Genius in ſeiner eignen holdſeligen Ge- ſtalt durch alle ſeine Werke verfolgen, und aufs beſtimmteſte zeigen wird, was Er

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/150>, abgerufen am 29.03.2024.