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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

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Plato, in welchem seine Seele ihm auf
den Lippen schwebte, hauchet noch; sein
geliebter Stern, (aser) den er mit tau-
send Augen anzusehen wünschte, glänzet
noch unter den Sternen. So mehrere Ge-
dichte Meleagers; und o wäre die
Stimme der Lyra nicht verhallet, die die-
se Blume der Menschheit mit höchstem
Wohlgefallen pries! Die Griechische Spra-
che hat in Bezeichnung der Jugend-Gra-
zie einen anerkannten Reichthum an Aus-
drücken, unter andern auch deßwegen,
weil diese meistens auf die Kunst anspie-
len. Die Kunst machte ihre Begriffe klar,
und gab ihren Empfindungen die Gestalt
der Worte. Unter andern z. B. finde ich,
daß die Jungfräulichkeit des Jüng-
linges, die holde Schaam auf seinem
Gesicht, in seinem Anstande und in seinen
Sitten eben so hoch von der Muse geprie-

Plato, in welchem ſeine Seele ihm auf
den Lippen ſchwebte, hauchet noch; ſein
geliebter Stern, (αςηϱ) den er mit tau-
ſend Augen anzuſehen wuͤnſchte, glaͤnzet
noch unter den Sternen. So mehrere Ge-
dichte Meleagers; und o waͤre die
Stimme der Lyra nicht verhallet, die die-
ſe Blume der Menſchheit mit hoͤchſtem
Wohlgefallen pries! Die Griechiſche Spra-
che hat in Bezeichnung der Jugend-Gra-
zie einen anerkannten Reichthum an Aus-
druͤcken, unter andern auch deßwegen,
weil dieſe meiſtens auf die Kunſt anſpie-
len. Die Kunſt machte ihre Begriffe klar,
und gab ihren Empfindungen die Geſtalt
der Worte. Unter andern z. B. finde ich,
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[121/0136] Plato, in welchem ſeine Seele ihm auf den Lippen ſchwebte, hauchet noch; ſein geliebter Stern, (αςηϱ) den er mit tau- ſend Augen anzuſehen wuͤnſchte, glaͤnzet noch unter den Sternen. So mehrere Ge- dichte Meleagers; und o waͤre die Stimme der Lyra nicht verhallet, die die- ſe Blume der Menſchheit mit hoͤchſtem Wohlgefallen pries! Die Griechiſche Spra- che hat in Bezeichnung der Jugend-Gra- zie einen anerkannten Reichthum an Aus- druͤcken, unter andern auch deßwegen, weil dieſe meiſtens auf die Kunſt anſpie- len. Die Kunſt machte ihre Begriffe klar, und gab ihren Empfindungen die Geſtalt der Worte. Unter andern z. B. finde ich, daß die Jungfraͤulichkeit des Juͤng- linges, die holde Schaam auf ſeinem Geſicht, in ſeinem Anſtande und in ſeinen Sitten eben ſo hoch von der Muſe geprie-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/136>, abgerufen am 29.03.2024.