Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite

"het alles, und gehet durch alle Geister,
"wie verständig, lauter und scharf sie sind."

"Woher kommt er?" Wie sein Name
sagt, aus dem Schoos der Zeiten. Der
menschlichen Natur einwohnend hatten ihn
einst in unserm rauheren Klima die Pfäfferei
und der wilde Kriegsgeist lange unterdrückt
gehalten; sie schlossen ihn ein in Hölen,
Thürme, Schlösser und Klöster. Er ent-
kam; die Reformation machte ihn frei;
Künste und Wissenschaften, am meisten aber
die Buchdruckerei gaben ihm Flügel. Seine
ernste Mutter, die selbstdenkende Phi-
losophie hat ihn, zumal an den Schrif-
ten der Alten, unterwiesen; sein ernster
Vater, der mühsame Versuch hat ihn
erzogen, und durch die Vorbilder der wür-
digsten, größten Männer gereift und ge-
stärket. Er ist kein Kind mehr, wiewohl er
bei jeder neuen Begebenheit ein Kind schei-

A 5

„het alles, und gehet durch alle Geiſter,
„wie verſtaͤndig, lauter und ſcharf ſie ſind.“

„Woher kommt er?“ Wie ſein Name
ſagt, aus dem Schoos der Zeiten. Der
menſchlichen Natur einwohnend hatten ihn
einſt in unſerm rauheren Klima die Pfaͤfferei
und der wilde Kriegsgeiſt lange unterdruͤckt
gehalten; ſie ſchloſſen ihn ein in Hoͤlen,
Thuͤrme, Schloͤſſer und Kloͤſter. Er ent-
kam; die Reformation machte ihn frei;
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, am meiſten aber
die Buchdruckerei gaben ihm Fluͤgel. Seine
ernſte Mutter, die ſelbſtdenkende Phi-
loſophie hat ihn, zumal an den Schrif-
ten der Alten, unterwieſen; ſein ernſter
Vater, der muͤhſame Verſuch hat ihn
erzogen, und durch die Vorbilder der wuͤr-
digſten, groͤßten Maͤnner gereift und ge-
ſtaͤrket. Er iſt kein Kind mehr, wiewohl er
bei jeder neuen Begebenheit ein Kind ſchei-

A 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="9"/>
&#x201E;het alles, und gehet durch alle Gei&#x017F;ter,<lb/>
&#x201E;wie ver&#x017F;ta&#x0364;ndig, lauter und &#x017F;charf &#x017F;ie &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Woher kommt er?&#x201C; Wie &#x017F;ein Name<lb/>
&#x017F;agt, aus dem Schoos der Zeiten. Der<lb/>
men&#x017F;chlichen Natur einwohnend hatten ihn<lb/>
ein&#x017F;t in un&#x017F;erm rauheren Klima die Pfa&#x0364;fferei<lb/>
und der wilde Kriegsgei&#x017F;t lange unterdru&#x0364;ckt<lb/>
gehalten; &#x017F;ie &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ihn ein in Ho&#x0364;len,<lb/>
Thu&#x0364;rme, Schlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;er und Klo&#x0364;&#x017F;ter. Er ent-<lb/>
kam; die Reformation machte ihn frei;<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, am mei&#x017F;ten aber<lb/>
die Buchdruckerei gaben ihm Flu&#x0364;gel. Seine<lb/>
ern&#x017F;te Mutter, die <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;tdenkende Phi</hi>-<lb/><hi rendition="#g">lo&#x017F;ophie</hi> hat ihn, zumal an den Schrif-<lb/>
ten der Alten, unterwie&#x017F;en; &#x017F;ein ern&#x017F;ter<lb/>
Vater, der mu&#x0364;h&#x017F;ame <hi rendition="#g">Ver&#x017F;uch</hi> hat ihn<lb/>
erzogen, und durch die Vorbilder der wu&#x0364;r-<lb/>
dig&#x017F;ten, gro&#x0364;ßten Ma&#x0364;nner gereift und ge-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rket. Er i&#x017F;t kein Kind mehr, wiewohl er<lb/>
bei jeder neuen Begebenheit ein Kind &#x017F;chei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0014] „het alles, und gehet durch alle Geiſter, „wie verſtaͤndig, lauter und ſcharf ſie ſind.“ „Woher kommt er?“ Wie ſein Name ſagt, aus dem Schoos der Zeiten. Der menſchlichen Natur einwohnend hatten ihn einſt in unſerm rauheren Klima die Pfaͤfferei und der wilde Kriegsgeiſt lange unterdruͤckt gehalten; ſie ſchloſſen ihn ein in Hoͤlen, Thuͤrme, Schloͤſſer und Kloͤſter. Er ent- kam; die Reformation machte ihn frei; Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, am meiſten aber die Buchdruckerei gaben ihm Fluͤgel. Seine ernſte Mutter, die ſelbſtdenkende Phi- loſophie hat ihn, zumal an den Schrif- ten der Alten, unterwieſen; ſein ernſter Vater, der muͤhſame Verſuch hat ihn erzogen, und durch die Vorbilder der wuͤr- digſten, groͤßten Maͤnner gereift und ge- ſtaͤrket. Er iſt kein Kind mehr, wiewohl er bei jeder neuen Begebenheit ein Kind ſchei- A 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/14
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 2. Riga, 1793, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet02_1793/14>, abgerufen am 28.03.2024.