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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Sandwüsten, so wie die feuchten und gewaltsamen Abwech-
selungen des Amerikanischen Klima eben so fremde. Weder
auf dem Gipfel der Erdhöhe liegt er, noch auf dem Abhange
zum Pol hin; vielmehr schützen ihn auf der Einen Seite die
hohen Mauern der Tatarischen und Mogolischen Gebürge,
da auf der andern ihn der Wind des Meeres kühlet. Regelmäs-
sig wechseln seine Jahrszeiten ab, aber noch ohne die Gewalt-
samkeit, die unter dem Aequator herrschet; und da schon Hippo-
krates bemerkt hat, daß eine sanfte Regelmäßigkeit der
Jahrszeiten auch auf das Gleichgewicht der Neigungen gros-
sen Einfluß zeiget: so hat sie solchen in den Spiegel und Ab-
druck unsrer Seele nicht minder. Die räuberischen Tuku-
mannen, die auf den Bergen oder in der Wüste umherschwei-
fen, bleiben auch im schönsten Klima ein häßliches Volk;
ließen sie sich zur Ruhe nieder und theilten ihr Leben in einen
sanftern Genuß und in eine Thätigkeit, die sie mit andern
gebildetern Nationen verbände: sie würden, wie an der Sitte
derselben, so mit der Zeit auch an den Zügen ihrer Bildung
Antheil nehmen. Die Schönheit der Welt ist nur für den
ruhigen Genuß geschaffen; mittelst seiner allein theilt sie sich
dem Menschen mit und verkörpert sich in ihm.

Zweitens. Ersprießlich ists für das Menschengeschlecht
gewesen, daß es in diesen Gegenden der Wohlgestalt nicht nur
anfing, sondern daß auch von hieraus die Cultur am wohlthä-

thig-

Sandwuͤſten, ſo wie die feuchten und gewaltſamen Abwech-
ſelungen des Amerikaniſchen Klima eben ſo fremde. Weder
auf dem Gipfel der Erdhoͤhe liegt er, noch auf dem Abhange
zum Pol hin; vielmehr ſchuͤtzen ihn auf der Einen Seite die
hohen Mauern der Tatariſchen und Mogoliſchen Gebuͤrge,
da auf der andern ihn der Wind des Meeres kuͤhlet. Regelmaͤſ-
ſig wechſeln ſeine Jahrszeiten ab, aber noch ohne die Gewalt-
ſamkeit, die unter dem Aequator herrſchet; und da ſchon Hippo-
krates bemerkt hat, daß eine ſanfte Regelmaͤßigkeit der
Jahrszeiten auch auf das Gleichgewicht der Neigungen groſ-
ſen Einfluß zeiget: ſo hat ſie ſolchen in den Spiegel und Ab-
druck unſrer Seele nicht minder. Die raͤuberiſchen Tuku-
mannen, die auf den Bergen oder in der Wuͤſte umherſchwei-
fen, bleiben auch im ſchoͤnſten Klima ein haͤßliches Volk;
ließen ſie ſich zur Ruhe nieder und theilten ihr Leben in einen
ſanftern Genuß und in eine Thaͤtigkeit, die ſie mit andern
gebildetern Nationen verbaͤnde: ſie wuͤrden, wie an der Sitte
derſelben, ſo mit der Zeit auch an den Zuͤgen ihrer Bildung
Antheil nehmen. Die Schoͤnheit der Welt iſt nur fuͤr den
ruhigen Genuß geſchaffen; mittelſt ſeiner allein theilt ſie ſich
dem Menſchen mit und verkoͤrpert ſich in ihm.

Zweitens. Erſprießlich iſts fuͤr das Menſchengeſchlecht
geweſen, daß es in dieſen Gegenden der Wohlgeſtalt nicht nur
anfing, ſondern daß auch von hieraus die Cultur am wohlthaͤ-

thig-
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[32/0044] Sandwuͤſten, ſo wie die feuchten und gewaltſamen Abwech- ſelungen des Amerikaniſchen Klima eben ſo fremde. Weder auf dem Gipfel der Erdhoͤhe liegt er, noch auf dem Abhange zum Pol hin; vielmehr ſchuͤtzen ihn auf der Einen Seite die hohen Mauern der Tatariſchen und Mogoliſchen Gebuͤrge, da auf der andern ihn der Wind des Meeres kuͤhlet. Regelmaͤſ- ſig wechſeln ſeine Jahrszeiten ab, aber noch ohne die Gewalt- ſamkeit, die unter dem Aequator herrſchet; und da ſchon Hippo- krates bemerkt hat, daß eine ſanfte Regelmaͤßigkeit der Jahrszeiten auch auf das Gleichgewicht der Neigungen groſ- ſen Einfluß zeiget: ſo hat ſie ſolchen in den Spiegel und Ab- druck unſrer Seele nicht minder. Die raͤuberiſchen Tuku- mannen, die auf den Bergen oder in der Wuͤſte umherſchwei- fen, bleiben auch im ſchoͤnſten Klima ein haͤßliches Volk; ließen ſie ſich zur Ruhe nieder und theilten ihr Leben in einen ſanftern Genuß und in eine Thaͤtigkeit, die ſie mit andern gebildetern Nationen verbaͤnde: ſie wuͤrden, wie an der Sitte derſelben, ſo mit der Zeit auch an den Zuͤgen ihrer Bildung Antheil nehmen. Die Schoͤnheit der Welt iſt nur fuͤr den ruhigen Genuß geſchaffen; mittelſt ſeiner allein theilt ſie ſich dem Menſchen mit und verkoͤrpert ſich in ihm. Zweitens. Erſprießlich iſts fuͤr das Menſchengeſchlecht geweſen, daß es in dieſen Gegenden der Wohlgeſtalt nicht nur anfing, ſondern daß auch von hieraus die Cultur am wohlthaͤ- thig-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/44>, abgerufen am 23.04.2024.