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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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Der sollte nicht mein Freund seyn, der bey
diesem so einfältigen, Nichtssagenden Liede,
insonderheit lebendig gesungen, nichts mit
fühlte! Jndessen, wenn es übersetzt würde
(Wieland hat es, so wie die Meisten dieser
Art, nicht übersetzt!) wenn der Einige fast,
dem ich hiezu Biegsamkeit zutraue, der Sän-
ger des Skaldengesanges und der Grabschrift
Aspasiens, und des griechischen Schnitterlied-
chens und der süssen Nänie auf Wachtel und
das Schnittermädchen des Himmels, und auf
die Herzensangst jenes guten Pfarrers --
wenn dieser Dichter, der so Mancherley, und
dies Mancherley so vortreflich seyn kann, es
übersetzte, wie anders erhält er den Abdruck
der innern Empfindung, als durch den Ab-
druck des Aeussern, des Sinnlichen, in
Form, Klang, Ton, Melodie, alles des
Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem
Gesange stromweise in die Seele fliesset.
Schlagen Sie die Dodslei'schen Reliques of
ancient Poetry
auf, von Einem Ende zum
Andern; übersetzen Sie was und wie schön
Sie es wollen, aber ausser dem Ton des Ge-
sanges, und sehen Sie denn, was Sie ha-
ben werden!

Sie kennen doch die liebe, süsse Romanze,
von der ich mich wundere, daß sie sich in den

Dods-
A 5

Der ſollte nicht mein Freund ſeyn, der bey
dieſem ſo einfaͤltigen, Nichtsſagenden Liede,
inſonderheit lebendig geſungen, nichts mit
fuͤhlte! Jndeſſen, wenn es uͤberſetzt wuͤrde
(Wieland hat es, ſo wie die Meiſten dieſer
Art, nicht uͤberſetzt!) wenn der Einige faſt,
dem ich hiezu Biegſamkeit zutraue, der Saͤn-
ger des Skaldengeſanges und der Grabſchrift
Aſpaſiens, und des griechiſchen Schnitterlied-
chens und der ſuͤſſen Naͤnie auf Wachtel und
das Schnittermaͤdchen des Himmels, und auf
die Herzensangſt jenes guten Pfarrers —
wenn dieſer Dichter, der ſo Mancherley, und
dies Mancherley ſo vortreflich ſeyn kann, es
uͤberſetzte, wie anders erhaͤlt er den Abdruck
der innern Empfindung, als durch den Ab-
druck des Aeuſſern, des Sinnlichen, in
Form, Klang, Ton, Melodie, alles des
Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem
Geſange ſtromweiſe in die Seele flieſſet.
Schlagen Sie die Dodslei’ſchen Reliques of
ancient Poetry
auf, von Einem Ende zum
Andern; uͤberſetzen Sie was und wie ſchoͤn
Sie es wollen, aber auſſer dem Ton des Ge-
ſanges, und ſehen Sie denn, was Sie ha-
ben werden!

Sie kennen doch die liebe, ſuͤſſe Romanze,
von der ich mich wundere, daß ſie ſich in den

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[9/0013] Der ſollte nicht mein Freund ſeyn, der bey dieſem ſo einfaͤltigen, Nichtsſagenden Liede, inſonderheit lebendig geſungen, nichts mit fuͤhlte! Jndeſſen, wenn es uͤberſetzt wuͤrde (Wieland hat es, ſo wie die Meiſten dieſer Art, nicht uͤberſetzt!) wenn der Einige faſt, dem ich hiezu Biegſamkeit zutraue, der Saͤn- ger des Skaldengeſanges und der Grabſchrift Aſpaſiens, und des griechiſchen Schnitterlied- chens und der ſuͤſſen Naͤnie auf Wachtel und das Schnittermaͤdchen des Himmels, und auf die Herzensangſt jenes guten Pfarrers — wenn dieſer Dichter, der ſo Mancherley, und dies Mancherley ſo vortreflich ſeyn kann, es uͤberſetzte, wie anders erhaͤlt er den Abdruck der innern Empfindung, als durch den Ab- druck des Aeuſſern, des Sinnlichen, in Form, Klang, Ton, Melodie, alles des Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem Geſange ſtromweiſe in die Seele flieſſet. Schlagen Sie die Dodslei’ſchen Reliques of ancient Poetry auf, von Einem Ende zum Andern; uͤberſetzen Sie was und wie ſchoͤn Sie es wollen, aber auſſer dem Ton des Ge- ſanges, und ſehen Sie denn, was Sie ha- ben werden! Sie kennen doch die liebe, ſuͤſſe Romanze, von der ich mich wundere, daß ſie ſich in den Dods- A 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/13>, abgerufen am 20.04.2024.