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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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ner Sinne, der Richtung seiner Vorstellungen und
der Stärke seiner Begierden angemessen ist -- Und
welche Thiersprache ist so für den Menschen?

Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel-
che Sprache,
(außer der vorigen mechanischen),
hat der Mensch so instinktmäßig, als jede
Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer
Sphäre?
-- die Antwort ist kurz: keine! und
eben diese kurze Antwort entscheidet.

Bei jedem Thiere ist, wie wir gesehen, seine
Sprache eine Aeußerung so starker sinnlicher Vor-
stellungen, daß diese zu Trieben werden: mithin
ist Sprache, so wie Sinne, und Vorstellungen
und Triebe angebohren und dem Thier unmit-
telbar natürlich.
Die Biene sumset, wie sie
sauget; der Vogel singt wie er nistet -- aber wie
spricht der Mensch von Natur? Gar nicht!

so wie er wenig oder nichts durch völligen Jnstinkt,
als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr-
nen Kinde das Geschrei seiner empfindsamen Ma-
schine aus; sonst ists stumm; es äußert weder
Vorstellungen noch Triebe durch Töne, wie doch
jedes Thier in seiner Art; blos unter Thiere ge-

stellet,
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ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und
der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt — Und
welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen?

Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel-
che Sprache,
(außer der vorigen mechaniſchen),
hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede
Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer
Sphaͤre?
— die Antwort iſt kurz: keine! und
eben dieſe kurze Antwort entſcheidet.

Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine
Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor-
ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin
iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen
und Triebe angebohren und dem Thier unmit-
telbar natuͤrlich.
Die Biene ſumſet, wie ſie
ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie
ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht!

ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt,
als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr-
nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma-
ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder
Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch
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ſtellet,
C 3
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[37/0043] ner Sinne, der Richtung ſeiner Vorſtellungen und der Staͤrke ſeiner Begierden angemeſſen iſt — Und welche Thierſprache iſt ſo fuͤr den Menſchen? Jedoch es bedarf auch die Frage nicht. Wel- che Sprache, (außer der vorigen mechaniſchen), hat der Menſch ſo inſtinktmaͤßig, als jede Thiergattung die Jhrige in und nach ihrer Sphaͤre? — die Antwort iſt kurz: keine! und eben dieſe kurze Antwort entſcheidet. Bei jedem Thiere iſt, wie wir geſehen, ſeine Sprache eine Aeußerung ſo ſtarker ſinnlicher Vor- ſtellungen, daß dieſe zu Trieben werden: mithin iſt Sprache, ſo wie Sinne, und Vorſtellungen und Triebe angebohren und dem Thier unmit- telbar natuͤrlich. Die Biene ſumſet, wie ſie ſauget; der Vogel ſingt wie er niſtet — aber wie ſpricht der Menſch von Natur? Gar nicht! ſo wie er wenig oder nichts durch voͤlligen Jnſtinkt, als Thier thut. Jch nehme bei einem neugebohr- nen Kinde das Geſchrei ſeiner empfindſamen Ma- ſchine aus; ſonſt iſts ſtumm; es aͤußert weder Vorſtellungen noch Triebe durch Toͤne, wie doch jedes Thier in ſeiner Art; blos unter Thiere ge- ſtellet, C 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/43>, abgerufen am 19.04.2024.