Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

repos, ou une inaction. Mais comme, par le mouve-
ment necessaire des choses, elles sont contraintes d'aller,
elles seront forcees d'aller de concert
.

In beyden Aussagen liegt die Andeutung derjenigen
psychologischen Kräfte, worauf der Begriff des Staats
sich versteckter Weise bezieht; dergestalt, dass er in
dem Grade
realisirt wird, als in welchem Grade diese
Kräfte in ihm sind und wirken. Die Beziehungs-Puncte
aber sind: theils die Sitte, theils die Nothwendigkeit, dass
die Geschäfte gehen, sammt der Anerkennung und Ein-
sicht, dass sie gehen müssen. Diese Nothwendigkeit
selbst aber ist theils eine innere, theils eine äussere. Es
wird am deutlichsten seyn, wenn ich von der letztern
zuerst rede.

Viele Staaten können gar nicht begriffen, und ihrer
Möglichkeit nach erklärt werden, wenn man nicht ihre
äussern Verhältnisse zugleich mit in Betracht zieht. Von
der Art war das alte republicanische Rom. In ihm war
in der That die Gewalt getheilt; und eben darum erblickt
man in seinem Innern während ganzer Jahrhunderte nichts
als einen Staat, der in jedem Augenblick im Begriff steht,
sich durch bürgerliche Unruhen aufzulösen. Man preise
nur ja nicht die Verfassung des alten Roms; sie taugte
gar nichts; denn sie ernährte fortwährend zwey Par-
theyen, deren jede beständig auf gelegene Zeiten hoffte,
um das Uebergewicht zu erlangen. Diese Partheyen wa-
ren auch nicht in Ruhe, wie Montesquieu meint oder
will, sondern sie regten sich, wann sie konnten; und
das werden alle Partheyen zu allen Zeiten thun. Aber
es gab dort eine sehr nothwendige "Bewegung der
"Dinge"
; wodurch die streitenden Kräfte "gezwungen"
wurden, (forcees!) eine gemeinsame Richtung zu neh-
men; welches sich denn zum Theil in Sitte und Ge-
wohnheit
verwandelte. Rom war nämlich der allge-
meine Feind aller Nachbarn. Und die glücklichen Krie-
ger waren Eins in dem Stolze des Sieges, wie in der
Noth vorübergehender Unfälle. Der Baum lebte, so lange

repos, ou une inaction. Mais comme, par le mouve-
ment nécessaire des choses, elles sont contraintes d’aller,
elles seront forcées d’aller de concert
.

In beyden Aussagen liegt die Andeutung derjenigen
psychologischen Kräfte, worauf der Begriff des Staats
sich versteckter Weise bezieht; dergestalt, daſs er in
dem Grade
realisirt wird, als in welchem Grade diese
Kräfte in ihm sind und wirken. Die Beziehungs-Puncte
aber sind: theils die Sitte, theils die Nothwendigkeit, daſs
die Geschäfte gehen, sammt der Anerkennung und Ein-
sicht, daſs sie gehen müssen. Diese Nothwendigkeit
selbst aber ist theils eine innere, theils eine äuſsere. Es
wird am deutlichsten seyn, wenn ich von der letztern
zuerst rede.

Viele Staaten können gar nicht begriffen, und ihrer
Möglichkeit nach erklärt werden, wenn man nicht ihre
äuſsern Verhältnisse zugleich mit in Betracht zieht. Von
der Art war das alte republicanische Rom. In ihm war
in der That die Gewalt getheilt; und eben darum erblickt
man in seinem Innern während ganzer Jahrhunderte nichts
als einen Staat, der in jedem Augenblick im Begriff steht,
sich durch bürgerliche Unruhen aufzulösen. Man preise
nur ja nicht die Verfassung des alten Roms; sie taugte
gar nichts; denn sie ernährte fortwährend zwey Par-
theyen, deren jede beständig auf gelegene Zeiten hoffte,
um das Uebergewicht zu erlangen. Diese Partheyen wa-
ren auch nicht in Ruhe, wie Montesquieu meint oder
will, sondern sie regten sich, wann sie konnten; und
das werden alle Partheyen zu allen Zeiten thun. Aber
es gab dort eine sehr nothwendige „Bewegung der
„Dinge“
; wodurch die streitenden Kräfte „gezwungen“
wurden, (forcées!) eine gemeinsame Richtung zu neh-
men; welches sich denn zum Theil in Sitte und Ge-
wohnheit
verwandelte. Rom war nämlich der allge-
meine Feind aller Nachbarn. Und die glücklichen Krie-
ger waren Eins in dem Stolze des Sieges, wie in der
Noth vorübergehender Unfälle. Der Baum lebte, so lange

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#i"><pb facs="#f0049" n="14"/>
repos, ou une inaction. Mais comme, par le mouve-<lb/>
ment nécessaire des choses, elles sont contraintes d&#x2019;aller,<lb/>
elles seront forcées d&#x2019;aller de concert</hi>.</p><lb/>
        <p>In beyden Aussagen liegt die Andeutung derjenigen<lb/><hi rendition="#g">psychologischen</hi> Kräfte, worauf der Begriff des Staats<lb/>
sich versteckter Weise bezieht; dergestalt, da&#x017F;s er <hi rendition="#g">in<lb/>
dem Grade</hi> realisirt wird, als in welchem Grade diese<lb/>
Kräfte in ihm sind und wirken. Die Beziehungs-Puncte<lb/>
aber sind: theils die Sitte, theils die Nothwendigkeit, da&#x017F;s<lb/>
die Geschäfte gehen, sammt der Anerkennung und Ein-<lb/>
sicht, da&#x017F;s sie gehen müssen. Diese Nothwendigkeit<lb/>
selbst aber ist theils eine innere, theils eine äu&#x017F;sere. Es<lb/>
wird am deutlichsten seyn, wenn ich von der letztern<lb/>
zuerst rede.</p><lb/>
        <p>Viele Staaten können gar nicht begriffen, und ihrer<lb/>
Möglichkeit nach erklärt werden, wenn man nicht ihre<lb/>
äu&#x017F;sern Verhältnisse zugleich mit in Betracht zieht. Von<lb/>
der Art war das alte republicanische Rom. In ihm war<lb/>
in der That die Gewalt getheilt; und eben darum erblickt<lb/>
man in seinem Innern während ganzer Jahrhunderte nichts<lb/>
als einen Staat, der in jedem Augenblick im Begriff steht,<lb/>
sich durch bürgerliche Unruhen aufzulösen. Man preise<lb/>
nur ja nicht die Verfassung des alten Roms; sie taugte<lb/>
gar nichts; denn sie ernährte fortwährend zwey Par-<lb/>
theyen, deren jede beständig auf gelegene Zeiten hoffte,<lb/>
um das Uebergewicht zu erlangen. Diese Partheyen wa-<lb/>
ren auch nicht in Ruhe, wie <hi rendition="#g">Montesquieu</hi> meint oder<lb/>
will, sondern sie regten sich, wann sie konnten; und<lb/>
das werden alle Partheyen zu allen Zeiten thun. Aber<lb/>
es gab dort eine sehr nothwendige <hi rendition="#g">&#x201E;Bewegung der<lb/>
&#x201E;Dinge&#x201C;</hi>; wodurch die streitenden Kräfte &#x201E;gezwungen&#x201C;<lb/>
wurden, (<hi rendition="#i">forcées!</hi>) eine gemeinsame Richtung zu neh-<lb/>
men; welches sich denn zum Theil in <hi rendition="#g">Sitte</hi> und <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
wohnheit</hi> verwandelte. Rom war nämlich der allge-<lb/>
meine Feind aller Nachbarn. Und die glücklichen Krie-<lb/>
ger waren Eins in dem Stolze des Sieges, wie in der<lb/>
Noth vorübergehender Unfälle. Der Baum lebte, so lange<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0049] repos, ou une inaction. Mais comme, par le mouve- ment nécessaire des choses, elles sont contraintes d’aller, elles seront forcées d’aller de concert. In beyden Aussagen liegt die Andeutung derjenigen psychologischen Kräfte, worauf der Begriff des Staats sich versteckter Weise bezieht; dergestalt, daſs er in dem Grade realisirt wird, als in welchem Grade diese Kräfte in ihm sind und wirken. Die Beziehungs-Puncte aber sind: theils die Sitte, theils die Nothwendigkeit, daſs die Geschäfte gehen, sammt der Anerkennung und Ein- sicht, daſs sie gehen müssen. Diese Nothwendigkeit selbst aber ist theils eine innere, theils eine äuſsere. Es wird am deutlichsten seyn, wenn ich von der letztern zuerst rede. Viele Staaten können gar nicht begriffen, und ihrer Möglichkeit nach erklärt werden, wenn man nicht ihre äuſsern Verhältnisse zugleich mit in Betracht zieht. Von der Art war das alte republicanische Rom. In ihm war in der That die Gewalt getheilt; und eben darum erblickt man in seinem Innern während ganzer Jahrhunderte nichts als einen Staat, der in jedem Augenblick im Begriff steht, sich durch bürgerliche Unruhen aufzulösen. Man preise nur ja nicht die Verfassung des alten Roms; sie taugte gar nichts; denn sie ernährte fortwährend zwey Par- theyen, deren jede beständig auf gelegene Zeiten hoffte, um das Uebergewicht zu erlangen. Diese Partheyen wa- ren auch nicht in Ruhe, wie Montesquieu meint oder will, sondern sie regten sich, wann sie konnten; und das werden alle Partheyen zu allen Zeiten thun. Aber es gab dort eine sehr nothwendige „Bewegung der „Dinge“; wodurch die streitenden Kräfte „gezwungen“ wurden, (forcées!) eine gemeinsame Richtung zu neh- men; welches sich denn zum Theil in Sitte und Ge- wohnheit verwandelte. Rom war nämlich der allge- meine Feind aller Nachbarn. Und die glücklichen Krie- ger waren Eins in dem Stolze des Sieges, wie in der Noth vorübergehender Unfälle. Der Baum lebte, so lange

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/49
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/49>, abgerufen am 16.04.2024.