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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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selbst diese verkennen; daher sie um so mehr
den Geist verletzen und beleidigen. Und ein
achtes, worin mein Lehrbuch der Psychologie
nachgeahmt und entstellt, aber nicht angeführt
wird. Und ein neuntes, zehntes, und wer weiss
wie viele sonst, worin die Abtheilung der See-
lenvermögen (die freylich Niemandem genügen
kann) zwar verändert wird, aber mit erkünstel-
ten Theilungsgründen; und mit Beybehaltung der
Meinung, Alles komme auf innere Wahr-
nehmung an
, -- als hätten wir heute einen
schärfern innern Sinn, wie Kant oder Locke!
Den guten Willen aller dieser Schriftsteller be-
zweifle ich nicht; wenn aber dereinst ein Ge-
schichtschreiber
ein hartes Urtheil fällt, und etwa
von ihnen sagt: sie wussten, dass die Psy-
chologie schwach war; darum gingen
sie statt behutsamer, desto dreister mit
ihr um
, dann fragt es sich, ob ihre Werke sie
vertheidigen können, worin das Schwerste und
Wichtigste leicht genommen ist?

Das einzige Bedeutende, was der Psycholo-
gie neuerlich begegnet ist, besteht in jenen vor-
erwähnten, ihr zugemutheten Anschauungen,
Offenbarungen, Ahndungen, die jede Parthey
nach ihrer Art näher bestimmt, um ihre Reli-
gionsansichten dadurch zu sichern. Diese Zumu-
thungen sind für jede nüchterne, wenn auch nur
empirische Psychologie, so durchaus unerträglich,
dass man hoffen kann, sie werden nützlich seyn
durch Hervorrufung einer kräftigen Reaction *).

*) Dass überhaupt die Psychologie, so sehr sie auch durch
das von ihr ausgehende Licht alle andern, zur Metaphysik im

selbst diese verkennen; daher sie um so mehr
den Geist verletzen und beleidigen. Und ein
achtes, worin mein Lehrbuch der Psychologie
nachgeahmt und entstellt, aber nicht angeführt
wird. Und ein neuntes, zehntes, und wer weiſs
wie viele sonst, worin die Abtheilung der See-
lenvermögen (die freylich Niemandem genügen
kann) zwar verändert wird, aber mit erkünstel-
ten Theilungsgründen; und mit Beybehaltung der
Meinung, Alles komme auf innere Wahr-
nehmung an
, — als hätten wir heute einen
schärfern innern Sinn, wie Kant oder Locke!
Den guten Willen aller dieser Schriftsteller be-
zweifle ich nicht; wenn aber dereinst ein Ge-
schichtschreiber
ein hartes Urtheil fällt, und etwa
von ihnen sagt: sie wuſsten, daſs die Psy-
chologie schwach war; darum gingen
sie statt behutsamer, desto dreister mit
ihr um
, dann fragt es sich, ob ihre Werke sie
vertheidigen können, worin das Schwerste und
Wichtigste leicht genommen ist?

Das einzige Bedeutende, was der Psycholo-
gie neuerlich begegnet ist, besteht in jenen vor-
erwähnten, ihr zugemutheten Anschauungen,
Offenbarungen, Ahndungen, die jede Parthey
nach ihrer Art näher bestimmt, um ihre Reli-
gionsansichten dadurch zu sichern. Diese Zumu-
thungen sind für jede nüchterne, wenn auch nur
empirische Psychologie, so durchaus unerträglich,
daſs man hoffen kann, sie werden nützlich seyn
durch Hervorrufung einer kräftigen Reaction *).

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[XIV/0021] selbst diese verkennen; daher sie um so mehr den Geist verletzen und beleidigen. Und ein achtes, worin mein Lehrbuch der Psychologie nachgeahmt und entstellt, aber nicht angeführt wird. Und ein neuntes, zehntes, und wer weiſs wie viele sonst, worin die Abtheilung der See- lenvermögen (die freylich Niemandem genügen kann) zwar verändert wird, aber mit erkünstel- ten Theilungsgründen; und mit Beybehaltung der Meinung, Alles komme auf innere Wahr- nehmung an, — als hätten wir heute einen schärfern innern Sinn, wie Kant oder Locke! Den guten Willen aller dieser Schriftsteller be- zweifle ich nicht; wenn aber dereinst ein Ge- schichtschreiber ein hartes Urtheil fällt, und etwa von ihnen sagt: sie wuſsten, daſs die Psy- chologie schwach war; darum gingen sie statt behutsamer, desto dreister mit ihr um, dann fragt es sich, ob ihre Werke sie vertheidigen können, worin das Schwerste und Wichtigste leicht genommen ist? Das einzige Bedeutende, was der Psycholo- gie neuerlich begegnet ist, besteht in jenen vor- erwähnten, ihr zugemutheten Anschauungen, Offenbarungen, Ahndungen, die jede Parthey nach ihrer Art näher bestimmt, um ihre Reli- gionsansichten dadurch zu sichern. Diese Zumu- thungen sind für jede nüchterne, wenn auch nur empirische Psychologie, so durchaus unerträglich, daſs man hoffen kann, sie werden nützlich seyn durch Hervorrufung einer kräftigen Reaction *). *) Daſs überhaupt die Psychologie, so sehr sie auch durch das von ihr ausgehende Licht alle andern, zur Metaphysik im

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. XIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/21>, abgerufen am 29.03.2024.