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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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Einleitung.
Aber insofern gesagt wird, daß Verstand, daß Ver-
nunft in der gegenständlichen Welt ist
, daß
der Geist und die Natur Gesetze habe, nach welchen ihr
Leben und ihre Veränderungen sich machen, so wird zuge-
geben, daß die Denkbestimmungen eben so sehr objectiven
Werth und Existenz haben.

Die kritische Philosophie machte zwar bereits die
Metaphysik zur Logik, aber sie wie der spätere
Idealismus gab, wie vorhin schon erinnert worden, zu-
gleich aus Angst vor dem Object den logischen Bestim-
mungen eine wesentlich subjective Bedeutung, wodurch sie
gerade mit dem Objecte, das sie flohen, behaftet blieben,
und ein Ding-an-sich, einen unendlichen Anstoß,
als ein Jenseits sich übrig ließen. Aber die Befreyung
von dem Gegensatze des Bewußtseyns, welche die Wis-
senschaft muß voraussetzen können, erhebt sie über diesen
ängstlichen, unvollendeten Standpunkt, und fordert die
Betrachtung der Denkformen, wie sie an und für sich,
ohne eine solche Beschränkung und Rüksicht, das Logi-
sche, das Rein-vernünftige sind.

Kant preißt sonst die Logik, nemlich das Aggregat
von Bestimmungen und Sätzen, das im gewöhnlichen
Sinne Logik heißt, darüber glücklich, daß ihr vor an-
dern Wissenschaften eine so frühe Vollendung zu Theil ge-
worden sey; seit Aristoteles habe sie keinen Rükschritt ge-
than, aber auch keinen Schritt vorwärts, das Letztere
deßwegen, weil sie allem Ansehen nach geschlossen und
vollendet zu seyn scheine. -- Wenn die Logik seit Aristo-
teles keine Veränderung erlitten hat, -- wie denn in

der

Einleitung.
Aber inſofern geſagt wird, daß Verſtand, daß Ver-
nunft in der gegenſtaͤndlichen Welt iſt
, daß
der Geiſt und die Natur Geſetze habe, nach welchen ihr
Leben und ihre Veraͤnderungen ſich machen, ſo wird zuge-
geben, daß die Denkbeſtimmungen eben ſo ſehr objectiven
Werth und Exiſtenz haben.

Die kritiſche Philoſophie machte zwar bereits die
Metaphyſik zur Logik, aber ſie wie der ſpaͤtere
Idealismus gab, wie vorhin ſchon erinnert worden, zu-
gleich aus Angſt vor dem Object den logiſchen Beſtim-
mungen eine weſentlich ſubjective Bedeutung, wodurch ſie
gerade mit dem Objecte, das ſie flohen, behaftet blieben,
und ein Ding-an-ſich, einen unendlichen Anſtoß,
als ein Jenſeits ſich uͤbrig ließen. Aber die Befreyung
von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns, welche die Wiſ-
ſenſchaft muß vorausſetzen koͤnnen, erhebt ſie uͤber dieſen
aͤngſtlichen, unvollendeten Standpunkt, und fordert die
Betrachtung der Denkformen, wie ſie an und fuͤr ſich,
ohne eine ſolche Beſchraͤnkung und Ruͤkſicht, das Logi-
ſche, das Rein-vernuͤnftige ſind.

Kant preißt ſonſt die Logik, nemlich das Aggregat
von Beſtimmungen und Saͤtzen, das im gewoͤhnlichen
Sinne Logik heißt, daruͤber gluͤcklich, daß ihr vor an-
dern Wiſſenſchaften eine ſo fruͤhe Vollendung zu Theil ge-
worden ſey; ſeit Ariſtoteles habe ſie keinen Ruͤkſchritt ge-
than, aber auch keinen Schritt vorwaͤrts, das Letztere
deßwegen, weil ſie allem Anſehen nach geſchloſſen und
vollendet zu ſeyn ſcheine. — Wenn die Logik ſeit Ariſto-
teles keine Veraͤnderung erlitten hat, — wie denn in

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[XV/0035] Einleitung. Aber inſofern geſagt wird, daß Verſtand, daß Ver- nunft in der gegenſtaͤndlichen Welt iſt, daß der Geiſt und die Natur Geſetze habe, nach welchen ihr Leben und ihre Veraͤnderungen ſich machen, ſo wird zuge- geben, daß die Denkbeſtimmungen eben ſo ſehr objectiven Werth und Exiſtenz haben. Die kritiſche Philoſophie machte zwar bereits die Metaphyſik zur Logik, aber ſie wie der ſpaͤtere Idealismus gab, wie vorhin ſchon erinnert worden, zu- gleich aus Angſt vor dem Object den logiſchen Beſtim- mungen eine weſentlich ſubjective Bedeutung, wodurch ſie gerade mit dem Objecte, das ſie flohen, behaftet blieben, und ein Ding-an-ſich, einen unendlichen Anſtoß, als ein Jenſeits ſich uͤbrig ließen. Aber die Befreyung von dem Gegenſatze des Bewußtſeyns, welche die Wiſ- ſenſchaft muß vorausſetzen koͤnnen, erhebt ſie uͤber dieſen aͤngſtlichen, unvollendeten Standpunkt, und fordert die Betrachtung der Denkformen, wie ſie an und fuͤr ſich, ohne eine ſolche Beſchraͤnkung und Ruͤkſicht, das Logi- ſche, das Rein-vernuͤnftige ſind. Kant preißt ſonſt die Logik, nemlich das Aggregat von Beſtimmungen und Saͤtzen, das im gewoͤhnlichen Sinne Logik heißt, daruͤber gluͤcklich, daß ihr vor an- dern Wiſſenſchaften eine ſo fruͤhe Vollendung zu Theil ge- worden ſey; ſeit Ariſtoteles habe ſie keinen Ruͤkſchritt ge- than, aber auch keinen Schritt vorwaͤrts, das Letztere deßwegen, weil ſie allem Anſehen nach geſchloſſen und vollendet zu ſeyn ſcheine. — Wenn die Logik ſeit Ariſto- teles keine Veraͤnderung erlitten hat, — wie denn in der

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/35>, abgerufen am 23.04.2024.