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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812.

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Vorrede.
um einen neuen Begriff wissenschaftlicher Behandlung
zu thun ist. Die Philosophie, indem sie Wissenschaft
seyn soll, kann, wie ich anderwärts erinnert habe, hie-
zu ihre Methode nicht von einer untergeordneten Wis-
senschaft, wie die Mathematik ist, borgen, so wenig
als es bey kategorischen Versicherungen innerer An-
schauung bewenden lassen, oder sich des Räsonnements
aus Gründen der äussern Reflexion bedienen. Son-
dern es kann nur die Natur des Inhalts seyn,
welche sich im wissenschaftlichen Erkennen bewegt,
indem zugleich diese eigne Reflexion des Inhalts
es ist, welche seine Bestimmung selbst erst setzt
und erzeugt.

Der Verstand bestimmt und hält die Be-
stimmungen fest; die Vernunft ist negativ und
dialektisch, weil sie die Bestimmungen des Ver-
stands in Nichts auflöst; sie ist positiv, weil sie
das Allgemeine erzeugt, und das Besondere dar-
unter subsumirt. Wie der Verstand als etwas ge-
trenntes von der Vernunft überhaupt, so pflegt auch
die dialektische Vernunft als etwas getrenntes von der
positiven Vernunft genommen zu werden. Aber in
ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher
als beydes, der verständige Vernunft, oder vernünfti-
ger Verstand ist. Er ist das Negative, sowohl das-
jenige, welches die Qualität der dialektischen Vernunft,
als des Verstandes ausmacht; -- er negirt das Ein-
fache, so setzt er den bestimmten Unterschied des Ver-
standes, er löst ihn eben so sehr auf, so ist er dia-

lektisch.

Vorrede.
um einen neuen Begriff wiſſenſchaftlicher Behandlung
zu thun iſt. Die Philoſophie, indem ſie Wiſſenſchaft
ſeyn ſoll, kann, wie ich anderwaͤrts erinnert habe, hie-
zu ihre Methode nicht von einer untergeordneten Wiſ-
ſenſchaft, wie die Mathematik iſt, borgen, ſo wenig
als es bey kategoriſchen Verſicherungen innerer An-
ſchauung bewenden laſſen, oder ſich des Raͤſonnements
aus Gruͤnden der aͤuſſern Reflexion bedienen. Son-
dern es kann nur die Natur des Inhalts ſeyn,
welche ſich im wiſſenſchaftlichen Erkennen bewegt,
indem zugleich dieſe eigne Reflexion des Inhalts
es iſt, welche ſeine Beſtimmung ſelbſt erſt ſetzt
und erzeugt.

Der Verſtand beſtimmt und haͤlt die Be-
ſtimmungen feſt; die Vernunft iſt negativ und
dialektiſch, weil ſie die Beſtimmungen des Ver-
ſtands in Nichts aufloͤst; ſie iſt poſitiv, weil ſie
das Allgemeine erzeugt, und das Beſondere dar-
unter ſubſumirt. Wie der Verſtand als etwas ge-
trenntes von der Vernunft uͤberhaupt, ſo pflegt auch
die dialektiſche Vernunft als etwas getrenntes von der
poſitiven Vernunft genommen zu werden. Aber in
ihrer Wahrheit iſt die Vernunft Geiſt, der hoͤher
als beydes, der verſtaͤndige Vernunft, oder vernuͤnfti-
ger Verſtand iſt. Er iſt das Negative, ſowohl das-
jenige, welches die Qualitaͤt der dialektiſchen Vernunft,
als des Verſtandes ausmacht; — er negirt das Ein-
fache, ſo ſetzt er den beſtimmten Unterſchied des Ver-
ſtandes, er loͤst ihn eben ſo ſehr auf, ſo iſt er dia-

lektiſch.
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[VIII/0014] Vorrede. um einen neuen Begriff wiſſenſchaftlicher Behandlung zu thun iſt. Die Philoſophie, indem ſie Wiſſenſchaft ſeyn ſoll, kann, wie ich anderwaͤrts erinnert habe, hie- zu ihre Methode nicht von einer untergeordneten Wiſ- ſenſchaft, wie die Mathematik iſt, borgen, ſo wenig als es bey kategoriſchen Verſicherungen innerer An- ſchauung bewenden laſſen, oder ſich des Raͤſonnements aus Gruͤnden der aͤuſſern Reflexion bedienen. Son- dern es kann nur die Natur des Inhalts ſeyn, welche ſich im wiſſenſchaftlichen Erkennen bewegt, indem zugleich dieſe eigne Reflexion des Inhalts es iſt, welche ſeine Beſtimmung ſelbſt erſt ſetzt und erzeugt. Der Verſtand beſtimmt und haͤlt die Be- ſtimmungen feſt; die Vernunft iſt negativ und dialektiſch, weil ſie die Beſtimmungen des Ver- ſtands in Nichts aufloͤst; ſie iſt poſitiv, weil ſie das Allgemeine erzeugt, und das Beſondere dar- unter ſubſumirt. Wie der Verſtand als etwas ge- trenntes von der Vernunft uͤberhaupt, ſo pflegt auch die dialektiſche Vernunft als etwas getrenntes von der poſitiven Vernunft genommen zu werden. Aber in ihrer Wahrheit iſt die Vernunft Geiſt, der hoͤher als beydes, der verſtaͤndige Vernunft, oder vernuͤnfti- ger Verſtand iſt. Er iſt das Negative, ſowohl das- jenige, welches die Qualitaͤt der dialektiſchen Vernunft, als des Verſtandes ausmacht; — er negirt das Ein- fache, ſo ſetzt er den beſtimmten Unterſchied des Ver- ſtandes, er loͤst ihn eben ſo ſehr auf, ſo iſt er dia- lektiſch.

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Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/14>, abgerufen am 24.04.2024.