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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 9.
ker als das von selbst vorherrschende, wenigstens als eine subsidia-
risch giltige Quelle. In diesem Sinne lehrte und schrieb zunächst
nach Groot der Brite Richard Zouch (1590--1660). 1 Auch
die Philosophen kamen bald hiebei zur Hilfe, vorzüglich Christian
Friedrich v. Wolff (1679--1754), welcher sich im Wesentlichen
mit Groot einverstanden zeigte. 2 In diesem Sinn dachten und
schrieben Hermann Friedrich Kahrel (1719--1787), Adolph Fried-
rich Glafey (1682--1754), 3 vorzüglich Emerich von Vattel,
ein Schweizer (1714--1767), dessen Werk, 4 ganz dem System
Wolfs entsprechend, nur durch seine gefällige und praktische, ob-
gleich oft seichte Weise sich einen Platz neben Groot in den Bi-
bliotheken der Staatsmänner verschafft hat; außerdem T. Ruther-
ford, 5 J. J. Burlamaqui 6 und Gerard de Rayneval. 7

Noch weiter in dem Gegensatz zu Pufendorf gingen die vor-
zugsweisen Anhänger des historisch-praktischen Rechts, unter denen
sich wieder zwei Fractionen unterscheiden lassen: nämlich die rei-
nen Positivisten, welche nur ein durch Herkommen oder Verträge
bestätigtes internationales Recht anerkennen, ein Naturrecht oder
natürliches Völkerrecht aber ganz ignoriren oder dahingestellt sein
lassen, und andrerseits diejenigen, welche zwar in dem Völkerwil-
len allein den Grund eines praktischen gemeinsamen Rechts finden,
denselben jedoch nicht bloß in äußeren Manifestationen suchen, son-
dern in der Nothwendigkeit der Dinge, in den Standpuncten und
Verhältnissen, worin die Nationen zu einander treten, als von selbst
gegeben entdecken, somit zwar kein absolut verbindliches ius natu-

1 Juris et judicii fecialis sive iuris inter gentes et quaestionum de eo-
dem explicatio.
Zuerst Oxon. 1650 und nachher sehr oft. v. Ompteda
§. 64. 130. Wheaton hist. d. progr. p. 45.
2 Sein Hauptwerk: ius gentium methodo scientifica pertractatum. 1749.
Darüber v. Ompteda §. 93 f. Wheaton, hist. du progres. p. 121.
3 Sein Vernunft- und Völkerrecht erschien 1723. Sein Völkerrecht 1752.
4 Le droit des gens. Zuerst 1758; mit Noten von Pinheiro Ferreira, Pa-
ris 1838. Darüber v. Ompteda §. 99. Wheaton p. 127.
5 Institutes of natural law. 2 Vols. Lond. 1754.
6 Principes ou elements du droit politique. Zuerst Geneve 1747, zuletzt
Lausanne 1784. In Gr. Britannien viel gebraucht.
7 Institutions du dr. de la nature et des gens a Par. an. XI (1803).

Einleitung. §. 9.
ker als das von ſelbſt vorherrſchende, wenigſtens als eine ſubſidia-
riſch giltige Quelle. In dieſem Sinne lehrte und ſchrieb zunächſt
nach Groot der Brite Richard Zouch (1590—1660). 1 Auch
die Philoſophen kamen bald hiebei zur Hilfe, vorzüglich Chriſtian
Friedrich v. Wolff (1679—1754), welcher ſich im Weſentlichen
mit Groot einverſtanden zeigte. 2 In dieſem Sinn dachten und
ſchrieben Hermann Friedrich Kahrel (1719—1787), Adolph Fried-
rich Glafey (1682—1754), 3 vorzüglich Emerich von Vattel,
ein Schweizer (1714—1767), deſſen Werk, 4 ganz dem Syſtem
Wolfs entſprechend, nur durch ſeine gefällige und praktiſche, ob-
gleich oft ſeichte Weiſe ſich einen Platz neben Groot in den Bi-
bliotheken der Staatsmänner verſchafft hat; außerdem T. Ruther-
ford, 5 J. J. Burlamaqui 6 und Gerard de Rayneval. 7

Noch weiter in dem Gegenſatz zu Pufendorf gingen die vor-
zugsweiſen Anhänger des hiſtoriſch-praktiſchen Rechts, unter denen
ſich wieder zwei Fractionen unterſcheiden laſſen: nämlich die rei-
nen Poſitiviſten, welche nur ein durch Herkommen oder Verträge
beſtätigtes internationales Recht anerkennen, ein Naturrecht oder
natürliches Völkerrecht aber ganz ignoriren oder dahingeſtellt ſein
laſſen, und andrerſeits diejenigen, welche zwar in dem Völkerwil-
len allein den Grund eines praktiſchen gemeinſamen Rechts finden,
denſelben jedoch nicht bloß in äußeren Manifeſtationen ſuchen, ſon-
dern in der Nothwendigkeit der Dinge, in den Standpuncten und
Verhältniſſen, worin die Nationen zu einander treten, als von ſelbſt
gegeben entdecken, ſomit zwar kein abſolut verbindliches ius natu-

1 Juris et judicii fecialis sive iuris inter gentes et quaestionum de eo-
dem explicatio.
Zuerſt Oxon. 1650 und nachher ſehr oft. v. Ompteda
§. 64. 130. Wheaton hist. d. progr. p. 45.
2 Sein Hauptwerk: ius gentium methodo scientifica pertractatum. 1749.
Darüber v. Ompteda §. 93 f. Wheaton, hist. du progrès. p. 121.
3 Sein Vernunft- und Völkerrecht erſchien 1723. Sein Völkerrecht 1752.
4 Le droit des gens. Zuerſt 1758; mit Noten von Pinheiro Ferreira, Pa-
ris 1838. Darüber v. Ompteda §. 99. Wheaton p. 127.
5 Institutes of natural law. 2 Vols. Lond. 1754.
6 Principes ou élements du droit politique. Zuerſt Genève 1747, zuletzt
Lausanne 1784. In Gr. Britannien viel gebraucht.
7 Institutions du dr. de la nature et des gens à Par. an. XI (1803).
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[20/0044] Einleitung. §. 9. ker als das von ſelbſt vorherrſchende, wenigſtens als eine ſubſidia- riſch giltige Quelle. In dieſem Sinne lehrte und ſchrieb zunächſt nach Groot der Brite Richard Zouch (1590—1660). 1 Auch die Philoſophen kamen bald hiebei zur Hilfe, vorzüglich Chriſtian Friedrich v. Wolff (1679—1754), welcher ſich im Weſentlichen mit Groot einverſtanden zeigte. 2 In dieſem Sinn dachten und ſchrieben Hermann Friedrich Kahrel (1719—1787), Adolph Fried- rich Glafey (1682—1754), 3 vorzüglich Emerich von Vattel, ein Schweizer (1714—1767), deſſen Werk, 4 ganz dem Syſtem Wolfs entſprechend, nur durch ſeine gefällige und praktiſche, ob- gleich oft ſeichte Weiſe ſich einen Platz neben Groot in den Bi- bliotheken der Staatsmänner verſchafft hat; außerdem T. Ruther- ford, 5 J. J. Burlamaqui 6 und Gerard de Rayneval. 7 Noch weiter in dem Gegenſatz zu Pufendorf gingen die vor- zugsweiſen Anhänger des hiſtoriſch-praktiſchen Rechts, unter denen ſich wieder zwei Fractionen unterſcheiden laſſen: nämlich die rei- nen Poſitiviſten, welche nur ein durch Herkommen oder Verträge beſtätigtes internationales Recht anerkennen, ein Naturrecht oder natürliches Völkerrecht aber ganz ignoriren oder dahingeſtellt ſein laſſen, und andrerſeits diejenigen, welche zwar in dem Völkerwil- len allein den Grund eines praktiſchen gemeinſamen Rechts finden, denſelben jedoch nicht bloß in äußeren Manifeſtationen ſuchen, ſon- dern in der Nothwendigkeit der Dinge, in den Standpuncten und Verhältniſſen, worin die Nationen zu einander treten, als von ſelbſt gegeben entdecken, ſomit zwar kein abſolut verbindliches ius natu- 1 Juris et judicii fecialis sive iuris inter gentes et quaestionum de eo- dem explicatio. Zuerſt Oxon. 1650 und nachher ſehr oft. v. Ompteda §. 64. 130. Wheaton hist. d. progr. p. 45. 2 Sein Hauptwerk: ius gentium methodo scientifica pertractatum. 1749. Darüber v. Ompteda §. 93 f. Wheaton, hist. du progrès. p. 121. 3 Sein Vernunft- und Völkerrecht erſchien 1723. Sein Völkerrecht 1752. 4 Le droit des gens. Zuerſt 1758; mit Noten von Pinheiro Ferreira, Pa- ris 1838. Darüber v. Ompteda §. 99. Wheaton p. 127. 5 Institutes of natural law. 2 Vols. Lond. 1754. 6 Principes ou élements du droit politique. Zuerſt Genève 1747, zuletzt Lausanne 1784. In Gr. Britannien viel gebraucht. 7 Institutions du dr. de la nature et des gens à Par. an. XI (1803).

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/44>, abgerufen am 25.04.2024.