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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 8.
Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechts: insbesondere die Europäischen
Staatshändel und Völkerverträge.

8. Schon die Physiologie und die allgemeine Geschichte der
Völkerstaaten Europa's, namentlich ihrer Sitten, bekräftigen das
Dasein eines gemeinsamen Völkerrechts (§. 5.). Als die vorzüg-
lichste äußere Erkenntnißquelle des Europäischen Völkerrechts er-
scheinen jedoch die Europäischen Staatshändel und Völkerverträge,
in deren Geist und Buchstaben sich die Uebereinstimmung der Na-
tionen oder ihrer Regierungen beurkundet findet. Im Alterthum
liegt darin fast die einzige Manifestation eines gemeinsamen Rechts-
princips. Die Verträge der alten Welt stehen jedoch meist nur auf
einer geringen Stufe von Bedeutsamkeit; selten gehen sie über die
nächsten actuellen Interessen hinaus; entweder tritt aus ihnen das
Wehe der Besiegten entgegen oder die Gründung einer kürzeren oder
längeren Waffenruhe, zuweilen jedoch auch die Stiftung eines Han-
delsverkehrs und selbst einer Dikäodosie nach gleichen freundlichen
Rechten. 1

Auf einer fast noch tieferen Stufe stehen politisch die Staa-
ten- oder vielmehr Fürstenverträge des Mittelalters. Der Staat
selbst lösete sich wesentlich in privatrechtliche Verhältnisse und In-
teressen auf; man verfügte über Staaten und Völker wie über Pri-
vateigenthum; nur das Lehnsverhältniß und die Kirche genoß oder
gewährte hiergegen einigen Schutz, oft auch diesen kaum. 2

Eine Vertragspraxis der politischen Interessen begann im fünf-
zehnten Jahrhundert, mit mancherlei Vor- und Rückschritten, 3

1 Eine verdienstliche Sammlung der alten Völkerverträge findet sich in Bar-
beyrac Supplement au corps universel diplom. de J. Du Mont a le Haye
1739. t. I.
Von dem bedeutendsten Interesse sind darin die griechischen
sumbola peri tou me adikein, insbesondere die Verträge zwischen Athen und
Sparta, Rom und Carthago, dann zwischen K. Justinian und Cosroes 561
n. Chr. Barb. part. II. p. 196.
2 Auch die Verträge jener Zeit finden sich bei Barbeyrac a. a. O. P. II.
3 Nachweisungen und Darstellungen dieser neuen Vertragspolitik und Staats-
händel s. in J. F. Schmauß, Einl. z. d. Staatswissensch. Lpz. 1740.
1747. 2 Thle. Fr. Ancillon, tableau des revolutions du systeme poli-
tique de l'Europe. Berl. 1803--1805. 4 t. Par. 1806. 6 Vols.
Deutsch
übers. v. Mann. Berl. 1805. 4 Bde. Ge. Fr. v. Martens, Grdr. einer
diplom. Gesch. der Europ. Staatshändel und Friedensschlüsse. Berl. 1807.
Einleitung. §. 8.
Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechts: insbeſondere die Europäiſchen
Staatshändel und Völkerverträge.

8. Schon die Phyſiologie und die allgemeine Geſchichte der
Völkerſtaaten Europa’s, namentlich ihrer Sitten, bekräftigen das
Daſein eines gemeinſamen Völkerrechts (§. 5.). Als die vorzüg-
lichſte äußere Erkenntnißquelle des Europäiſchen Völkerrechts er-
ſcheinen jedoch die Europäiſchen Staatshändel und Völkerverträge,
in deren Geiſt und Buchſtaben ſich die Uebereinſtimmung der Na-
tionen oder ihrer Regierungen beurkundet findet. Im Alterthum
liegt darin faſt die einzige Manifeſtation eines gemeinſamen Rechts-
princips. Die Verträge der alten Welt ſtehen jedoch meiſt nur auf
einer geringen Stufe von Bedeutſamkeit; ſelten gehen ſie über die
nächſten actuellen Intereſſen hinaus; entweder tritt aus ihnen das
Wehe der Beſiegten entgegen oder die Gründung einer kürzeren oder
längeren Waffenruhe, zuweilen jedoch auch die Stiftung eines Han-
delsverkehrs und ſelbſt einer Dikäodoſie nach gleichen freundlichen
Rechten. 1

Auf einer faſt noch tieferen Stufe ſtehen politiſch die Staa-
ten- oder vielmehr Fürſtenverträge des Mittelalters. Der Staat
ſelbſt löſete ſich weſentlich in privatrechtliche Verhältniſſe und In-
tereſſen auf; man verfügte über Staaten und Völker wie über Pri-
vateigenthum; nur das Lehnsverhältniß und die Kirche genoß oder
gewährte hiergegen einigen Schutz, oft auch dieſen kaum. 2

Eine Vertragspraxis der politiſchen Intereſſen begann im fünf-
zehnten Jahrhundert, mit mancherlei Vor- und Rückſchritten, 3

1 Eine verdienſtliche Sammlung der alten Völkerverträge findet ſich in Bar-
beyrac Supplément au corps universel diplom. de J. Du Mont à le Haye
1739. t. I.
Von dem bedeutendſten Intereſſe ſind darin die griechiſchen
σύμβολα πεϱὶ τοῦ μὴ ἀδικεῖν, insbeſondere die Verträge zwiſchen Athen und
Sparta, Rom und Carthago, dann zwiſchen K. Juſtinian und Cosroes 561
n. Chr. Barb. part. II. p. 196.
2 Auch die Verträge jener Zeit finden ſich bei Barbeyrac a. a. O. P. II.
3 Nachweiſungen und Darſtellungen dieſer neuen Vertragspolitik und Staats-
händel ſ. in J. F. Schmauß, Einl. z. d. Staatswiſſenſch. Lpz. 1740.
1747. 2 Thle. Fr. Ancillon, tableau des revolutions du systême poli-
tique de l’Europe. Berl. 1803—1805. 4 t. Par. 1806. 6 Vols.
Deutſch
überſ. v. Mann. Berl. 1805. 4 Bde. Ge. Fr. v. Martens, Grdr. einer
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[14/0038] Einleitung. §. 8. Aeußere Erkenntnißquellen des Völkerrechts: insbeſondere die Europäiſchen Staatshändel und Völkerverträge. 8. Schon die Phyſiologie und die allgemeine Geſchichte der Völkerſtaaten Europa’s, namentlich ihrer Sitten, bekräftigen das Daſein eines gemeinſamen Völkerrechts (§. 5.). Als die vorzüg- lichſte äußere Erkenntnißquelle des Europäiſchen Völkerrechts er- ſcheinen jedoch die Europäiſchen Staatshändel und Völkerverträge, in deren Geiſt und Buchſtaben ſich die Uebereinſtimmung der Na- tionen oder ihrer Regierungen beurkundet findet. Im Alterthum liegt darin faſt die einzige Manifeſtation eines gemeinſamen Rechts- princips. Die Verträge der alten Welt ſtehen jedoch meiſt nur auf einer geringen Stufe von Bedeutſamkeit; ſelten gehen ſie über die nächſten actuellen Intereſſen hinaus; entweder tritt aus ihnen das Wehe der Beſiegten entgegen oder die Gründung einer kürzeren oder längeren Waffenruhe, zuweilen jedoch auch die Stiftung eines Han- delsverkehrs und ſelbſt einer Dikäodoſie nach gleichen freundlichen Rechten. 1 Auf einer faſt noch tieferen Stufe ſtehen politiſch die Staa- ten- oder vielmehr Fürſtenverträge des Mittelalters. Der Staat ſelbſt löſete ſich weſentlich in privatrechtliche Verhältniſſe und In- tereſſen auf; man verfügte über Staaten und Völker wie über Pri- vateigenthum; nur das Lehnsverhältniß und die Kirche genoß oder gewährte hiergegen einigen Schutz, oft auch dieſen kaum. 2 Eine Vertragspraxis der politiſchen Intereſſen begann im fünf- zehnten Jahrhundert, mit mancherlei Vor- und Rückſchritten, 3 1 Eine verdienſtliche Sammlung der alten Völkerverträge findet ſich in Bar- beyrac Supplément au corps universel diplom. de J. Du Mont à le Haye 1739. t. I. Von dem bedeutendſten Intereſſe ſind darin die griechiſchen σύμβολα πεϱὶ τοῦ μὴ ἀδικεῖν, insbeſondere die Verträge zwiſchen Athen und Sparta, Rom und Carthago, dann zwiſchen K. Juſtinian und Cosroes 561 n. Chr. Barb. part. II. p. 196. 2 Auch die Verträge jener Zeit finden ſich bei Barbeyrac a. a. O. P. II. 3 Nachweiſungen und Darſtellungen dieſer neuen Vertragspolitik und Staats- händel ſ. in J. F. Schmauß, Einl. z. d. Staatswiſſenſch. Lpz. 1740. 1747. 2 Thle. Fr. Ancillon, tableau des revolutions du systême poli- tique de l’Europe. Berl. 1803—1805. 4 t. Par. 1806. 6 Vols. Deutſch überſ. v. Mann. Berl. 1805. 4 Bde. Ge. Fr. v. Martens, Grdr. einer diplom. Geſch. der Europ. Staatshändel und Friedensſchlüſſe. Berl. 1807.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/38>, abgerufen am 29.03.2024.