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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 7. Einleitung.
II. ein durch deutliche Willenserklärungen sanctionirtes Recht. Die-
ses wird beurkundet:
a) durch allseitige stillschweigende oder ausdrückliche Aner-
kennung eines allgemeinen Grundsatzes in Einem gegebe-
nen Fall ohne Beschränkung auf denselben, dergleichen frei-
lich nur sehr selten nachzuweisen sein wird;
b) durch den Inhalt und Geist der Staatenverträge, so weit
diese (was allerdings auch nur selten eintritt), allen Eu-
ropäischen Staaten gemeinsam sind oder für alle schon
die Gelegenheit sich ergeben hat, sich wenigstens verein-
zelt über einen bestimmten Grundsatz auszusprechen;
c) durch allgemeine gleichförmige Anwendung und Beobach-
tung des nämlichen Grundsatzes in gleichartigen Fällen,
wobei einerseits die Meinung von einer Verpflichtung
gegen den Anderen, andererseits dessen Meinung von ei-
nem Forderungsrecht vorwaltet; -- das Staaten-Her-
kommen, die Staaten-Observanz. Ihr Beweis wird vor-
züglich geführt und erleichtert durch das Dasein eines
gegenseitigen gleichen Interesses und durch Reciprocität
der Behandlung. Verschieden davon ist das bloß einsei-
tige innere Staatsherkommen jeder einzelnen Macht wi-
der auswärtige Staaten und Unterthanen, die Beobach-
tung gewisser Maximen gegen Auswärtige, der eignen
inneren Ordnung gemäß oder aus bloßen Rücksichten der
Höflichkeit und Menschenliebe, oder noch engeren rein sub-
jectiven Rücksichten, wie die s. g. Staats-Galanterie, wo-
durch Anderen kein Recht eingeräumt werden soll.

Neben dem in solcher Weise begründeten gemeinsamen Staaten-
recht einer bestimmten Völker-Vereinigung kann es natürlich auch
besondere Rechte gewisser Staaten unter einander geben, deren Er-
werbungsarten weiterhin nachgewiesen werden sollen.

Einen allgemein geschriebenen Völker-Codex giebt es nicht. Eine Erklä-
rung der Völkerrechte decretirte die französische Nationalversammlung am
28. Oct. 1792 und beauftragte damit den Abbe Gregoire. Als die Repu-
blik aus ihrer Isolirung gegen andere Mächte heraustrat, gab sie das Project
auf. -- Von den s. g. vermutheten Völker-Conventionen (conventions pre-
sumees
), welche Einige als Quelle des Völkerrechts nennen, wird bei den
Verträgen die Rede sein, so weit sie nicht schon unter eine der vorstehenden
Categorien fallen.

§. 7. Einleitung.
II. ein durch deutliche Willenserklärungen ſanctionirtes Recht. Die-
ſes wird beurkundet:
a) durch allſeitige ſtillſchweigende oder ausdrückliche Aner-
kennung eines allgemeinen Grundſatzes in Einem gegebe-
nen Fall ohne Beſchränkung auf denſelben, dergleichen frei-
lich nur ſehr ſelten nachzuweiſen ſein wird;
b) durch den Inhalt und Geiſt der Staatenverträge, ſo weit
dieſe (was allerdings auch nur ſelten eintritt), allen Eu-
ropäiſchen Staaten gemeinſam ſind oder für alle ſchon
die Gelegenheit ſich ergeben hat, ſich wenigſtens verein-
zelt über einen beſtimmten Grundſatz auszuſprechen;
c) durch allgemeine gleichförmige Anwendung und Beobach-
tung des nämlichen Grundſatzes in gleichartigen Fällen,
wobei einerſeits die Meinung von einer Verpflichtung
gegen den Anderen, andererſeits deſſen Meinung von ei-
nem Forderungsrecht vorwaltet; — das Staaten-Her-
kommen, die Staaten-Obſervanz. Ihr Beweis wird vor-
züglich geführt und erleichtert durch das Daſein eines
gegenſeitigen gleichen Intereſſes und durch Reciprocität
der Behandlung. Verſchieden davon iſt das bloß einſei-
tige innere Staatsherkommen jeder einzelnen Macht wi-
der auswärtige Staaten und Unterthanen, die Beobach-
tung gewiſſer Maximen gegen Auswärtige, der eignen
inneren Ordnung gemäß oder aus bloßen Rückſichten der
Höflichkeit und Menſchenliebe, oder noch engeren rein ſub-
jectiven Rückſichten, wie die ſ. g. Staats-Galanterie, wo-
durch Anderen kein Recht eingeräumt werden ſoll.

Neben dem in ſolcher Weiſe begründeten gemeinſamen Staaten-
recht einer beſtimmten Völker-Vereinigung kann es natürlich auch
beſondere Rechte gewiſſer Staaten unter einander geben, deren Er-
werbungsarten weiterhin nachgewieſen werden ſollen.

Einen allgemein geſchriebenen Völker-Codex giebt es nicht. Eine Erklä-
rung der Völkerrechte decretirte die franzöſiſche Nationalverſammlung am
28. Oct. 1792 und beauftragte damit den Abbé Gregoire. Als die Repu-
blik aus ihrer Iſolirung gegen andere Mächte heraustrat, gab ſie das Project
auf. — Von den ſ. g. vermutheten Völker-Conventionen (conventions pré-
sumées
), welche Einige als Quelle des Völkerrechts nennen, wird bei den
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Categorien fallen.

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[13/0037] §. 7. Einleitung. II. ein durch deutliche Willenserklärungen ſanctionirtes Recht. Die- ſes wird beurkundet: a) durch allſeitige ſtillſchweigende oder ausdrückliche Aner- kennung eines allgemeinen Grundſatzes in Einem gegebe- nen Fall ohne Beſchränkung auf denſelben, dergleichen frei- lich nur ſehr ſelten nachzuweiſen ſein wird; b) durch den Inhalt und Geiſt der Staatenverträge, ſo weit dieſe (was allerdings auch nur ſelten eintritt), allen Eu- ropäiſchen Staaten gemeinſam ſind oder für alle ſchon die Gelegenheit ſich ergeben hat, ſich wenigſtens verein- zelt über einen beſtimmten Grundſatz auszuſprechen; c) durch allgemeine gleichförmige Anwendung und Beobach- tung des nämlichen Grundſatzes in gleichartigen Fällen, wobei einerſeits die Meinung von einer Verpflichtung gegen den Anderen, andererſeits deſſen Meinung von ei- nem Forderungsrecht vorwaltet; — das Staaten-Her- kommen, die Staaten-Obſervanz. Ihr Beweis wird vor- züglich geführt und erleichtert durch das Daſein eines gegenſeitigen gleichen Intereſſes und durch Reciprocität der Behandlung. Verſchieden davon iſt das bloß einſei- tige innere Staatsherkommen jeder einzelnen Macht wi- der auswärtige Staaten und Unterthanen, die Beobach- tung gewiſſer Maximen gegen Auswärtige, der eignen inneren Ordnung gemäß oder aus bloßen Rückſichten der Höflichkeit und Menſchenliebe, oder noch engeren rein ſub- jectiven Rückſichten, wie die ſ. g. Staats-Galanterie, wo- durch Anderen kein Recht eingeräumt werden ſoll. Neben dem in ſolcher Weiſe begründeten gemeinſamen Staaten- recht einer beſtimmten Völker-Vereinigung kann es natürlich auch beſondere Rechte gewiſſer Staaten unter einander geben, deren Er- werbungsarten weiterhin nachgewieſen werden ſollen. Einen allgemein geſchriebenen Völker-Codex giebt es nicht. Eine Erklä- rung der Völkerrechte decretirte die franzöſiſche Nationalverſammlung am 28. Oct. 1792 und beauftragte damit den Abbé Gregoire. Als die Repu- blik aus ihrer Iſolirung gegen andere Mächte heraustrat, gab ſie das Project auf. — Von den ſ. g. vermutheten Völker-Conventionen (conventions pré- sumées), welche Einige als Quelle des Völkerrechts nennen, wird bei den Verträgen die Rede ſein, ſo weit ſie nicht ſchon unter eine der vorſtehenden Categorien fallen.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/37>, abgerufen am 29.03.2024.