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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Einleitung. §. 7.
seitige Anerkennung in dem Gebiete des Europäischen Völkerrechts
erlangt oder noch keinen ausgesprochenen Charakter angenommen
haben, nämlich ein bloß durch die Politik und Sittlichkeit bestimm-
bares.

Natur der Völkergesetze.

7. Als Regulative des Europäischen Völkerrechts betrachten
Viele lediglich und allein die in Verträgen so wie in gegenseitiger
gleichförmiger Behandlung deutlich ausgesprochene Uebereinstimmung
der Staatsgewalten nebst der Analogie der hierdurch vereinbarten
Grundsätze. Andere setzen aber noch ein höheres, alle Staaten
verpflichtendes Gesetz hinzu, ein Naturrecht, welches sie philoso-
phisch construiren. Die Wahrheit ist, daß für die Europäischen
und von Europa ausgegangenen Staaten ein giltiges Recht nur
durch gemeinsamen Willen (consensu) besteht, daß es jedoch zu
seiner Giltigkeit weder einer ausdrücklichen Anerkennung in Ver-
trägen noch einer Bestätigung durch Gewohnheit wesentlich bedarf,
vielmehr ist dieses nur Eine Art der formellen Erscheinung des Völ-
kerrechts. Es giebt nämlich

I. ein schon mit innerer Nothwendigkeit anzuerkennendes, also
auch anerkanntes gegenseitiges Recht der Staaten, und ins-
besondere der in einem bestimmten Culturgrade mit freier Fort-
entwickelung begriffenen Staaten, Grundsätze nämlich, die kein
derartiger Staat verleugnen darf, wenn er dauernd und mit
Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr Theil nehmen
will (ius ex necessitate veniens, ein hypothetisches Naturrecht
der Staaten); ein Recht, dessen Anerkennung also auch jeder
bei dem anderen voraussetzen muß, weil er sonst alle Verbin-
dung mit demselben vermeiden und aufheben würde. So ist
von selbst in dem Friedlichzusammenbestehenwollen das Recht
der freien Persönlichkeit der einzelnen Staaten enthalten; so
in dem Wollen eines zuverläßigen Verkehrs das Recht der
Verträge; so in der Ausschließung eines ewigen Kriegszustan-
des das Gesetz einer menschlichen Kriegführung. Ein solches
ungeschriebenes, von selbst verstandenes Recht verkennen wol-
len, hieße die Sittlichkeit der christlichen Staaten auf die nie-
drigste Stufe stellen. Daneben giebt es allerdings noch

Einleitung. §. 7.
ſeitige Anerkennung in dem Gebiete des Europäiſchen Völkerrechts
erlangt oder noch keinen ausgeſprochenen Charakter angenommen
haben, nämlich ein bloß durch die Politik und Sittlichkeit beſtimm-
bares.

Natur der Völkergeſetze.

7. Als Regulative des Europäiſchen Völkerrechts betrachten
Viele lediglich und allein die in Verträgen ſo wie in gegenſeitiger
gleichförmiger Behandlung deutlich ausgeſprochene Uebereinſtimmung
der Staatsgewalten nebſt der Analogie der hierdurch vereinbarten
Grundſätze. Andere ſetzen aber noch ein höheres, alle Staaten
verpflichtendes Geſetz hinzu, ein Naturrecht, welches ſie philoſo-
phiſch conſtruiren. Die Wahrheit iſt, daß für die Europäiſchen
und von Europa ausgegangenen Staaten ein giltiges Recht nur
durch gemeinſamen Willen (consensu) beſteht, daß es jedoch zu
ſeiner Giltigkeit weder einer ausdrücklichen Anerkennung in Ver-
trägen noch einer Beſtätigung durch Gewohnheit weſentlich bedarf,
vielmehr iſt dieſes nur Eine Art der formellen Erſcheinung des Völ-
kerrechts. Es giebt nämlich

I. ein ſchon mit innerer Nothwendigkeit anzuerkennendes, alſo
auch anerkanntes gegenſeitiges Recht der Staaten, und ins-
beſondere der in einem beſtimmten Culturgrade mit freier Fort-
entwickelung begriffenen Staaten, Grundſätze nämlich, die kein
derartiger Staat verleugnen darf, wenn er dauernd und mit
Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr Theil nehmen
will (ius ex necessitate veniens, ein hypothetiſches Naturrecht
der Staaten); ein Recht, deſſen Anerkennung alſo auch jeder
bei dem anderen vorausſetzen muß, weil er ſonſt alle Verbin-
dung mit demſelben vermeiden und aufheben würde. So iſt
von ſelbſt in dem Friedlichzuſammenbeſtehenwollen das Recht
der freien Perſönlichkeit der einzelnen Staaten enthalten; ſo
in dem Wollen eines zuverläßigen Verkehrs das Recht der
Verträge; ſo in der Ausſchließung eines ewigen Kriegszuſtan-
des das Geſetz einer menſchlichen Kriegführung. Ein ſolches
ungeſchriebenes, von ſelbſt verſtandenes Recht verkennen wol-
len, hieße die Sittlichkeit der chriſtlichen Staaten auf die nie-
drigſte Stufe ſtellen. Daneben giebt es allerdings noch

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[12/0036] Einleitung. §. 7. ſeitige Anerkennung in dem Gebiete des Europäiſchen Völkerrechts erlangt oder noch keinen ausgeſprochenen Charakter angenommen haben, nämlich ein bloß durch die Politik und Sittlichkeit beſtimm- bares. Natur der Völkergeſetze. 7. Als Regulative des Europäiſchen Völkerrechts betrachten Viele lediglich und allein die in Verträgen ſo wie in gegenſeitiger gleichförmiger Behandlung deutlich ausgeſprochene Uebereinſtimmung der Staatsgewalten nebſt der Analogie der hierdurch vereinbarten Grundſätze. Andere ſetzen aber noch ein höheres, alle Staaten verpflichtendes Geſetz hinzu, ein Naturrecht, welches ſie philoſo- phiſch conſtruiren. Die Wahrheit iſt, daß für die Europäiſchen und von Europa ausgegangenen Staaten ein giltiges Recht nur durch gemeinſamen Willen (consensu) beſteht, daß es jedoch zu ſeiner Giltigkeit weder einer ausdrücklichen Anerkennung in Ver- trägen noch einer Beſtätigung durch Gewohnheit weſentlich bedarf, vielmehr iſt dieſes nur Eine Art der formellen Erſcheinung des Völ- kerrechts. Es giebt nämlich I. ein ſchon mit innerer Nothwendigkeit anzuerkennendes, alſo auch anerkanntes gegenſeitiges Recht der Staaten, und ins- beſondere der in einem beſtimmten Culturgrade mit freier Fort- entwickelung begriffenen Staaten, Grundſätze nämlich, die kein derartiger Staat verleugnen darf, wenn er dauernd und mit Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr Theil nehmen will (ius ex necessitate veniens, ein hypothetiſches Naturrecht der Staaten); ein Recht, deſſen Anerkennung alſo auch jeder bei dem anderen vorausſetzen muß, weil er ſonſt alle Verbin- dung mit demſelben vermeiden und aufheben würde. So iſt von ſelbſt in dem Friedlichzuſammenbeſtehenwollen das Recht der freien Perſönlichkeit der einzelnen Staaten enthalten; ſo in dem Wollen eines zuverläßigen Verkehrs das Recht der Verträge; ſo in der Ausſchließung eines ewigen Kriegszuſtan- des das Geſetz einer menſchlichen Kriegführung. Ein ſolches ungeſchriebenes, von ſelbſt verſtandenes Recht verkennen wol- len, hieße die Sittlichkeit der chriſtlichen Staaten auf die nie- drigſte Stufe ſtellen. Daneben giebt es allerdings noch

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/36>, abgerufen am 24.04.2024.