7. Die erste und wichtigste Frucht dieses Völ- kerrechts, und zugleich die Hauptstütze des ganzen Systems, war die Heiligkeit des anerkannt rechtmäßigen Besitzstandes, ohne welche überhaupt kein solches System bestehen kann. Viel trug zu dessen Aufrechthaltung bey, daß die mei- sten Staaten Erbstaaten waren. Auch war es ein Wahlreich, durch dessen widerrechtliche Theilung zuerst jener Grundsatz praktisch zerstört ward. Frü- here Eingriffe von Einzelnen dienten nur, ihn mehr zu befestigen.
8. Die zweite Stütze war der Grundsatz der Erhaltung des sogenannten politischen Gleich- gewichts; d. i. der wechselseitigen Erhaltung der Freyheit und Unabhängigkeit, durch Verhütung der Uebermacht und Anmaßungen eines Einzelnen. Be- darf es mehr als dieser Erklärung um seinen wah- ren Werth zu zeigen? Weder vor Mißbrauch noch Umsturz gesichert, gewährt es zwar keine vollkom- mene, aber die möglichste Sicherheit; weil es für menschliche Institute überhaupt keine vollkom- mene giebt. Was aber seine Behauptung erfor- dert, ist die jedesmalige Aufgabe für die höhere Politik; nur die kurzsichtige Beschränktheit kann es blos in der gleichen Vertheilung materieller Staats- kräfte suchen. Seine Aufrechthaltung hatte zugleich
zur
Einleitung.
7. Die erſte und wichtigſte Frucht dieſes Voͤl- kerrechts, und zugleich die Hauptſtuͤtze des ganzen Syſtems, war die Heiligkeit des anerkannt rechtmaͤßigen Beſitzſtandes, ohne welche uͤberhaupt kein ſolches Syſtem beſtehen kann. Viel trug zu deſſen Aufrechthaltung bey, daß die mei- ſten Staaten Erbſtaaten waren. Auch war es ein Wahlreich, durch deſſen widerrechtliche Theilung zuerſt jener Grundſatz praktiſch zerſtoͤrt ward. Fruͤ- here Eingriffe von Einzelnen dienten nur, ihn mehr zu befeſtigen.
8. Die zweite Stuͤtze war der Grundſatz der Erhaltung des ſogenannten politiſchen Gleich- gewichts; d. i. der wechſelſeitigen Erhaltung der Freyheit und Unabhaͤngigkeit, durch Verhuͤtung der Uebermacht und Anmaßungen eines Einzelnen. Be- darf es mehr als dieſer Erklaͤrung um ſeinen wah- ren Werth zu zeigen? Weder vor Mißbrauch noch Umſturz geſichert, gewaͤhrt es zwar keine vollkom- mene, aber die moͤglichſte Sicherheit; weil es fuͤr menſchliche Inſtitute uͤberhaupt keine vollkom- mene giebt. Was aber ſeine Behauptung erfor- dert, iſt die jedesmalige Aufgabe fuͤr die hoͤhere Politik; nur die kurzſichtige Beſchraͤnktheit kann es blos in der gleichen Vertheilung materieller Staats- kraͤfte ſuchen. Seine Aufrechthaltung hatte zugleich
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Einleitung.
7. Die erſte und wichtigſte Frucht dieſes Voͤl-
kerrechts, und zugleich die Hauptſtuͤtze des ganzen
Syſtems, war die Heiligkeit des anerkannt
rechtmaͤßigen Beſitzſtandes, ohne welche
uͤberhaupt kein ſolches Syſtem beſtehen kann. Viel
trug zu deſſen Aufrechthaltung bey, daß die mei-
ſten Staaten Erbſtaaten waren. Auch war es ein
Wahlreich, durch deſſen widerrechtliche Theilung
zuerſt jener Grundſatz praktiſch zerſtoͤrt ward. Fruͤ-
here Eingriffe von Einzelnen dienten nur, ihn mehr
zu befeſtigen.
8. Die zweite Stuͤtze war der Grundſatz der
Erhaltung des ſogenannten politiſchen Gleich-
gewichts; d. i. der wechſelſeitigen Erhaltung der
Freyheit und Unabhaͤngigkeit, durch Verhuͤtung der
Uebermacht und Anmaßungen eines Einzelnen. Be-
darf es mehr als dieſer Erklaͤrung um ſeinen wah-
ren Werth zu zeigen? Weder vor Mißbrauch noch
Umſturz geſichert, gewaͤhrt es zwar keine vollkom-
mene, aber die moͤglichſte Sicherheit; weil es
fuͤr menſchliche Inſtitute uͤberhaupt keine vollkom-
mene giebt. Was aber ſeine Behauptung erfor-
dert, iſt die jedesmalige Aufgabe fuͤr die hoͤhere
Politik; nur die kurzſichtige Beſchraͤnktheit kann es
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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/48>, abgerufen am 29.03.2024.
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