Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit seinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Braus; in ganz Bremen gab es keinen Mann so fröhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab' ich, was der Keller Gutes und Köstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn sie zusammenläuteten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen über mich, und es fröstelte mir durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich trösteten; da trank ich denn, wenn die Todesgedanken über mich kamen bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich zu schlafen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sei ich erwacht und könne doch nicht recht erwachen; die Augen wollten sich nicht aufthun, die Finger waren steif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stück Holz. An mein Bett aber traten Leute, betasteten mich und sprachen: Der alte Balthasar ist todt.

Todt, dachte ich und erschrak, todt und nicht schlafen? Todt bin ich und denke? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stille stand und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein

ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit seinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Braus; in ganz Bremen gab es keinen Mann so fröhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab' ich, was der Keller Gutes und Köstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn sie zusammenläuteten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen über mich, und es fröstelte mir durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich trösteten; da trank ich denn, wenn die Todesgedanken über mich kamen bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich zu schlafen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sei ich erwacht und könne doch nicht recht erwachen; die Augen wollten sich nicht aufthun, die Finger waren steif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stück Holz. An mein Bett aber traten Leute, betasteten mich und sprachen: Der alte Balthasar ist todt.

Todt, dachte ich und erschrak, todt und nicht schlafen? Todt bin ich und denke? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stille stand und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0061"/>
ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit seinen                Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Braus; in ganz Bremen                gab es keinen Mann so fröhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab'                ich, was der Keller Gutes und Köstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn                sie zusammenläuteten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach                Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen über mich, und es fröstelte mir                durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich                jammerte, aber auch keine Kinder, die mich trösteten; da trank ich denn, wenn die                Todesgedanken über mich kamen bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's                lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich zu                schlafen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sei ich erwacht und könne doch nicht                recht erwachen; die Augen wollten sich nicht aufthun, die Finger waren steif, als ich                mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stück Holz. An                mein Bett aber traten Leute, betasteten mich und sprachen: Der alte Balthasar ist                todt.</p><lb/>
        <p>Todt, dachte ich und erschrak, todt und nicht schlafen? Todt bin ich und denke? Mich                erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stille stand und wie sich                doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] ich unterschrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit seinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Braus; in ganz Bremen gab es keinen Mann so fröhlich als den Kellermeister Balthasar, und getrunken hab' ich, was der Keller Gutes und Köstliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, sondern wenn sie zusammenläuteten, schritt ich hinab zum besten Faß und schenkte mir ein nach Herzenslust. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen über mich, und es fröstelte mir durch die Glieder, wenn ich ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich trösteten; da trank ich denn, wenn die Todesgedanken über mich kamen bis ich von Sinnen war und schlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder schwach, und ich sehnte mich zu schlafen im Grabe. Da war mir eines Tages, als sei ich erwacht und könne doch nicht recht erwachen; die Augen wollten sich nicht aufthun, die Finger waren steif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen starr wie ein Stück Holz. An mein Bett aber traten Leute, betasteten mich und sprachen: Der alte Balthasar ist todt. Todt, dachte ich und erschrak, todt und nicht schlafen? Todt bin ich und denke? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stille stand und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:05:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:05:53Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/61
Zitationshilfe: Hauff, Wilhelm: Phantasien im Bremer Ratskeller. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 117–197. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauff_ratskeller_1910/61>, abgerufen am 25.04.2024.