Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel für Körper
und Gemüth, welches die Natur selbst als das zweck-
mäßigste angiebt! "Liebt die Kinder," sagt der beredte
Rousseau, "begünstigt ihre Spiele, ihre Freuden,
ihren liebenswürdigen Jnstinct. Wer von euch wünscht
sich nicht zuweilen dieses Alter zurück, wo das Lä-
cheln beständig um die Lippen spielt, und die Seele
einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den
kleinen Unschuldigen den Genuß entziehen einer so
schnell verschwindenden Zeit, eines so werthvollen
Gutes, von dem sie keinen Mißbrauch machen können?
Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit diese
so eiligen Jahre betrüben, die für sie, eben so wenig
als für euch, je wiederkehren können?

Wißt ihr den Augenblick, ihr Väter, wo der
Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch
dereinst nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die
kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen gönnte?
Sobald sie das süße Dasein empfinden, erlaubt ihnen
dessen Genuß, und handelt so gegen sie, daß zu wel-
cher Stunde auch der Himmel sie zu sich rufen mag,
sie nicht sterben ohne das Leben genossen zu haben."

Das so wohlthätige Spielen ist aber nicht immer
ohne Gefahr. Jst das Kind davon erhitzt, so kann
es sich leicht durch sein ungeduldiges Verlangen nach
Abkühlung schaden.

Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel fuͤr Koͤrper
und Gemuͤth, welches die Natur ſelbſt als das zweck-
maͤßigſte angiebt! »Liebt die Kinder,« ſagt der beredte
Rouſſeau, »beguͤnſtigt ihre Spiele, ihre Freuden,
ihren liebenswuͤrdigen Jnſtinct. Wer von euch wuͤnſcht
ſich nicht zuweilen dieſes Alter zurück, wo das Laͤ-
cheln beſtaͤndig um die Lippen ſpielt, und die Seele
einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den
kleinen Unſchuldigen den Genuß entziehen einer ſo
ſchnell verſchwindenden Zeit, eines ſo werthvollen
Gutes, von dem ſie keinen Mißbrauch machen koͤnnen?
Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit dieſe
ſo eiligen Jahre betruͤben, die fuͤr ſie, eben ſo wenig
als fuͤr euch, je wiederkehren koͤnnen?

Wißt ihr den Augenblick, ihr Vaͤter, wo der
Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch
dereinſt nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die
kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen goͤnnte?
Sobald ſie das ſuͤße Daſein empfinden, erlaubt ihnen
deſſen Genuß, und handelt ſo gegen ſie, daß zu wel-
cher Stunde auch der Himmel ſie zu ſich rufen mag,
ſie nicht ſterben ohne das Leben genoſſen zu haben.«

Das ſo wohlthaͤtige Spielen iſt aber nicht immer
ohne Gefahr. Jſt das Kind davon erhitzt, ſo kann
es ſich leicht durch ſein ungeduldiges Verlangen nach
Abkuͤhlung ſchaden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="40"/>
Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel fu&#x0364;r Ko&#x0364;rper<lb/>
und Gemu&#x0364;th, welches die Natur &#x017F;elb&#x017F;t als das zweck-<lb/>
ma&#x0364;ßig&#x017F;te angiebt! »Liebt die Kinder,« &#x017F;agt der beredte<lb/>
Rou&#x017F;&#x017F;eau, »begu&#x0364;n&#x017F;tigt ihre Spiele, ihre Freuden,<lb/>
ihren <choice><sic>liebenswu&#x0364;rdigeu</sic><corr>liebenswu&#x0364;rdigen</corr></choice> Jn&#x017F;tinct. Wer von euch wu&#x0364;n&#x017F;cht<lb/>
&#x017F;ich nicht zuweilen die&#x017F;es Alter zurück, wo das La&#x0364;-<lb/>
cheln be&#x017F;ta&#x0364;ndig um die Lippen &#x017F;pielt, und die Seele<lb/>
einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den<lb/>
kleinen Un&#x017F;chuldigen den Genuß entziehen einer &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chnell ver&#x017F;chwindenden Zeit, eines &#x017F;o werthvollen<lb/>
Gutes, von dem &#x017F;ie keinen Mißbrauch machen ko&#x0364;nnen?<lb/>
Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;o eiligen Jahre betru&#x0364;ben, die fu&#x0364;r &#x017F;ie, eben &#x017F;o wenig<lb/>
als fu&#x0364;r euch, je wiederkehren ko&#x0364;nnen?</p><lb/>
        <p>Wißt ihr den Augenblick, ihr Va&#x0364;ter, wo der<lb/>
Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch<lb/>
derein&#x017F;t nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die<lb/>
kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen go&#x0364;nnte?<lb/>
Sobald &#x017F;ie das &#x017F;u&#x0364;ße Da&#x017F;ein empfinden, erlaubt ihnen<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Genuß, und handelt &#x017F;o gegen &#x017F;ie, daß zu wel-<lb/>
cher Stunde auch der Himmel &#x017F;ie zu &#x017F;ich rufen mag,<lb/>
&#x017F;ie nicht &#x017F;terben ohne das Leben geno&#x017F;&#x017F;en zu haben.«</p><lb/>
        <p>Das &#x017F;o wohltha&#x0364;tige Spielen i&#x017F;t aber nicht immer<lb/>
ohne Gefahr. J&#x017F;t das Kind davon erhitzt, &#x017F;o kann<lb/>
es &#x017F;ich leicht durch &#x017F;ein ungeduldiges Verlangen nach<lb/>
Abku&#x0364;hlung &#x017F;chaden.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0050] Theorieen geblendet, ein Bildungsmittel fuͤr Koͤrper und Gemuͤth, welches die Natur ſelbſt als das zweck- maͤßigſte angiebt! »Liebt die Kinder,« ſagt der beredte Rouſſeau, »beguͤnſtigt ihre Spiele, ihre Freuden, ihren liebenswuͤrdigen Jnſtinct. Wer von euch wuͤnſcht ſich nicht zuweilen dieſes Alter zurück, wo das Laͤ- cheln beſtaͤndig um die Lippen ſpielt, und die Seele einen ewigen Frieden feiert? Warum wollt ihr den kleinen Unſchuldigen den Genuß entziehen einer ſo ſchnell verſchwindenden Zeit, eines ſo werthvollen Gutes, von dem ſie keinen Mißbrauch machen koͤnnen? Warum wollt ihr mit Schmerz und Bitterkeit dieſe ſo eiligen Jahre betruͤben, die fuͤr ſie, eben ſo wenig als fuͤr euch, je wiederkehren koͤnnen? Wißt ihr den Augenblick, ihr Vaͤter, wo der Tod eure Kinder erwartet? Und werdet ihr euch dereinſt nicht Vorwürfe machen, wenn ihr ihnen die kurze Zeit raubt, welche die Natur ihnen goͤnnte? Sobald ſie das ſuͤße Daſein empfinden, erlaubt ihnen deſſen Genuß, und handelt ſo gegen ſie, daß zu wel- cher Stunde auch der Himmel ſie zu ſich rufen mag, ſie nicht ſterben ohne das Leben genoſſen zu haben.« Das ſo wohlthaͤtige Spielen iſt aber nicht immer ohne Gefahr. Jſt das Kind davon erhitzt, ſo kann es ſich leicht durch ſein ungeduldiges Verlangen nach Abkuͤhlung ſchaden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/50
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/50>, abgerufen am 20.04.2024.