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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

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die Fabel, in das Wasser des Styx. Die Allegorie
ist schön und klar. Die grausamen Mütter, von de-
nen ich rede, handeln anders: sie tauchen ihre Kin-
der in den Strom der Weichlichkeit, erziehen sie zu
Opfern künftiger Leiden, und öffnen ihre Poren den
unzähligen Uebeln, die sie dereinst als Erwachsene
überfallen werden."

Moralische und geistige Kraft hängen mit einer
festen Gesundheit viel inniger zusammen, als man
gewöhnlich glaubt. Jn einem siechen Körper wird
auch der trefflichste Geist Spuren des Siechthums
verrathen, während aus dem Haupte eines gesunden
Jünglings die schönsten Gefühle, die kräftigsten Ge-
danken entspringen.

Nur zu oft verfallen Eltern und Lehrer in den
Fehler, daß sie bei der Erziehung der Kinder den
Gang der Natur außer Acht lassen. Jn einem Alter,
wo man nur darauf bedacht sein sollte, durch häu-
fige Bewegung im Freien die Brust zu erweitern und
die Glieder zu stärken, werden bereits strenge An-
forderungen an das Gehirn gemacht, jenes Organ,
das von allen am spätesten zur Reife gelangt, und
dessen Vollkommenheit von der gesunden Entwicke-
lung aller übrigen Organe abhängt. Unverhältniß-
mäßiger Werth wird auf ein unfruchtbares, zu theuer-
erkauftes Wissen gelegt, welches gewöhnlich, nach
aufgehobenem Drucke, spurlos verschwindet. Kinder

die Fabel, in das Waſſer des Styx. Die Allegorie
iſt ſchoͤn und klar. Die grauſamen Muͤtter, von de-
nen ich rede, handeln anders: ſie tauchen ihre Kin-
der in den Strom der Weichlichkeit, erziehen ſie zu
Opfern kuͤnftiger Leiden, und oͤffnen ihre Poren den
unzaͤhligen Uebeln, die ſie dereinſt als Erwachſene
uͤberfallen werden.«

Moraliſche und geiſtige Kraft haͤngen mit einer
feſten Geſundheit viel inniger zuſammen, als man
gewoͤhnlich glaubt. Jn einem ſiechen Koͤrper wird
auch der trefflichſte Geiſt Spuren des Siechthums
verrathen, waͤhrend aus dem Haupte eines geſunden
Jünglings die ſchoͤnſten Gefühle, die kraͤftigſten Ge-
danken entſpringen.

Nur zu oft verfallen Eltern und Lehrer in den
Fehler, daß ſie bei der Erziehung der Kinder den
Gang der Natur außer Acht laſſen. Jn einem Alter,
wo man nur darauf bedacht ſein ſollte, durch haͤu-
fige Bewegung im Freien die Bruſt zu erweitern und
die Glieder zu ſtaͤrken, werden bereits ſtrenge An-
forderungen an das Gehirn gemacht, jenes Organ,
das von allen am ſpaͤteſten zur Reife gelangt, und
deſſen Vollkommenheit von der geſunden Entwicke-
lung aller übrigen Organe abhaͤngt. Unverhaͤltniß-
maͤßiger Werth wird auf ein unfruchtbares, zu theuer-
erkauftes Wiſſen gelegt, welches gewoͤhnlich, nach
aufgehobenem Drucke, ſpurlos verſchwindet. Kinder

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[5/0015] die Fabel, in das Waſſer des Styx. Die Allegorie iſt ſchoͤn und klar. Die grauſamen Muͤtter, von de- nen ich rede, handeln anders: ſie tauchen ihre Kin- der in den Strom der Weichlichkeit, erziehen ſie zu Opfern kuͤnftiger Leiden, und oͤffnen ihre Poren den unzaͤhligen Uebeln, die ſie dereinſt als Erwachſene uͤberfallen werden.« Moraliſche und geiſtige Kraft haͤngen mit einer feſten Geſundheit viel inniger zuſammen, als man gewoͤhnlich glaubt. Jn einem ſiechen Koͤrper wird auch der trefflichſte Geiſt Spuren des Siechthums verrathen, waͤhrend aus dem Haupte eines geſunden Jünglings die ſchoͤnſten Gefühle, die kraͤftigſten Ge- danken entſpringen. Nur zu oft verfallen Eltern und Lehrer in den Fehler, daß ſie bei der Erziehung der Kinder den Gang der Natur außer Acht laſſen. Jn einem Alter, wo man nur darauf bedacht ſein ſollte, durch haͤu- fige Bewegung im Freien die Bruſt zu erweitern und die Glieder zu ſtaͤrken, werden bereits ſtrenge An- forderungen an das Gehirn gemacht, jenes Organ, das von allen am ſpaͤteſten zur Reife gelangt, und deſſen Vollkommenheit von der geſunden Entwicke- lung aller übrigen Organe abhaͤngt. Unverhaͤltniß- maͤßiger Werth wird auf ein unfruchtbares, zu theuer- erkauftes Wiſſen gelegt, welches gewoͤhnlich, nach aufgehobenem Drucke, ſpurlos verſchwindet. Kinder

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Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/15>, abgerufen am 19.04.2024.