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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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VI.
rührten Rednerischen Blumwerk hat H. Mai-
fart in seiner Teutschen Rhetorica genugsam ge-
handelt/ und sind solche auch den Schulknaben
bewust/ daß wir unsre Betrachtung nur auf die
Sachen zu richten vermeinen/ welche in andern
Büchern nicht beschrieben sind.

62. Wann man in eine Rede etwas uner-
wartes/ das sich doch zu der Sache schicket/ ein-
flechten kan/ bringet es dem Leser oder Hörer ein
grosses Belieben: dann/ gleich wie man sich über
einen unversehenen Fall verwundert/ und wann
solcher erfreulich ist belustiget; also ist es auch in
der Rede: wann man einen seltnen Gedanken
mit einmischen kan/ oder ja ein unerwartes
"Wort/ das doch deutlich und dem Jnhalt ge-
"mäß ist/ beybringet und nachsinnig mit einfü-
"get. Zum Exempel wollen wir setzen die Ob-
schrift der Nacht/ welche Michael Angelo zu
Florentz in einer Kirche von Marmol gebildet/
und ist solche folgenden Begriffs.

Hier schläfft und ruht diesanffte Nacht'
Von eines Engels* Hand erhaben:
Jhr glaubt es nicht? Wann sie erwacht
könt ihr das Jawort von ihr haben.

Hier auf hat Angelo in deß Bildes Namen/
nachgehendes Jnhalts geantwortet:

Jch
* Absehend auf den Namen Angelo.

VI.
ruͤhrten Redneriſchen Blumwerk hat H. Mai-
fart in ſeiner Teutſchen Rhetorica genugſam ge-
handelt/ und ſind ſolche auch den Schulknaben
bewuſt/ daß wir unſre Betrachtung nur auf die
Sachen zu richten vermeinen/ welche in andern
Buͤchern nicht beſchrieben ſind.

62. Wann man in eine Rede etwas uner-
wartes/ das ſich doch zu der Sache ſchicket/ ein-
flechten kan/ bringet es dem Leſer oder Hoͤrer ein
groſſes Belieben: dann/ gleich wie man ſich uͤber
einen unverſehenen Fall verwundert/ und wann
ſolcher erfreulich iſt beluſtiget; alſo iſt es auch in
der Rede: wann man einen ſeltnen Gedanken
mit einmiſchen kan/ oder ja ein unerwartes
„Wort/ das doch deutlich und dem Jnhalt ge-
„maͤß iſt/ beybringet und nachſinnig mit einfuͤ-
„get. Zum Exempel wollen wir ſetzen die Ob-
ſchrift der Nacht/ welche Michaël Angelo zu
Florentz in einer Kirche von Marmol gebildet/
und iſt ſolche folgenden Begriffs.

Hier ſchlaͤfft und ruht dieſanffte Nacht’
Von eines Engels* Hand erhaben:
Jhr glaubt es nicht? Wann ſie erwacht
koͤnt ihr das Jawort von ihr haben.

Hier auf hat Angelo in deß Bildes Namen/
nachgehendes Jnhalts geantwortet:

Jch
* Abſehend auf den Namen Angelo.
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[64/0096] VI. ruͤhrten Redneriſchen Blumwerk hat H. Mai- fart in ſeiner Teutſchen Rhetorica genugſam ge- handelt/ und ſind ſolche auch den Schulknaben bewuſt/ daß wir unſre Betrachtung nur auf die Sachen zu richten vermeinen/ welche in andern Buͤchern nicht beſchrieben ſind. 62. Wann man in eine Rede etwas uner- wartes/ das ſich doch zu der Sache ſchicket/ ein- flechten kan/ bringet es dem Leſer oder Hoͤrer ein groſſes Belieben: dann/ gleich wie man ſich uͤber einen unverſehenen Fall verwundert/ und wann ſolcher erfreulich iſt beluſtiget; alſo iſt es auch in der Rede: wann man einen ſeltnen Gedanken mit einmiſchen kan/ oder ja ein unerwartes „Wort/ das doch deutlich und dem Jnhalt ge- „maͤß iſt/ beybringet und nachſinnig mit einfuͤ- „get. Zum Exempel wollen wir ſetzen die Ob- ſchrift der Nacht/ welche Michaël Angelo zu Florentz in einer Kirche von Marmol gebildet/ und iſt ſolche folgenden Begriffs. Hier ſchlaͤfft und ruht dieſanffte Nacht’ Von eines Engels * Hand erhaben: Jhr glaubt es nicht? Wann ſie erwacht koͤnt ihr das Jawort von ihr haben. Hier auf hat Angelo in deß Bildes Namen/ nachgehendes Jnhalts geantwortet: Jch * Abſehend auf den Namen Angelo.

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/96>, abgerufen am 25.04.2024.