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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Von der Nachahmung.
eine andre schickliche Gleichniß zugebrauchen/ o-
der wie hier/ von dem wettlauffen zuverhar-
ren/ als welche der ersten Meinung genugsam
und deutlicher ausdrucket/ und der jenige ver-
leurt das Lob eines Dolmetschers/ welchen man
nicht oder schwerlich verstehen kan. Wann ein
Frantzos oder ein Jtalianer ein teutsches Kleid
anziehet/ sol es ihm so gerecht seyn/ dz man ihn für
keinen Frenden/ sondern für einen gebornen Teutschen
halten ka. Jch will sagen/ dz die beste Dolmetschung
ist/ welche ma für keine Dolmetschung hält.

44. Es finden sich auch zuweilen zweydeuti-
ge Wörter/ welchen der Nachdruck der Rede
beruhet/ und sind solche mit dergleichen Teut-
schenzweydeutigen Wörtern oder (aequivocis)
zu dolmetschen/ wie in nachgehenden Verslein/
so zu einem Blumenbuch vermeint gewesen:
Hos, Lector, flores (scilicet pictos) modidus non
diripit Auster:
Tu lege delicias lumine, non manibus.

Das Wort legere heist so wol lesen wie in ei-
nem Buch/ als auch auflesen/ wie die Früchte
oder Blumen aufgelesen und gesamlet werden.

Die Blumen lässt der Wind von Suden
her genesen/
du solst sie mit dem Aug/ nicht mit den
Händen lesen.

45. Wann aber das Wort in unsrer Spra-

che
C jv

Von der Nachahmung.
eine andre ſchickliche Gleichniß zugebrauchen/ o-
der wie hier/ von dem wettlauffen zuverhar-
ren/ als welche der erſten Meinung genugſam
und deutlicher ausdrucket/ und der jenige ver-
leurt das Lob eines Dolmetſchers/ welchen man
nicht oder ſchwerlich verſtehen kan. Wann ein
Frantzos oder ein Jtalianer ein teutſches Kleid
anziehet/ ſol es ihm ſo gerecht ſeyn/ dz man ihn fuͤꝛ
keinẽ Frẽden/ ſondern fuͤr einẽ gebornẽ Teutſchen
haltẽ kã. Jch will ſagẽ/ dz die beſte Dolmetſchung
iſt/ welche mã fuͤr keine Dolmetſchung haͤlt.

44. Es finden ſich auch zuweilen zweydeuti-
ge Woͤrter/ welchen der Nachdruck der Rede
beruhet/ und ſind ſolche mit dergleichen Teut-
ſchenzweydeutigen Woͤrtern oder (æquivocis)
zu dolmetſchen/ wie in nachgehenden Verslein/
ſo zu einem Blumenbuch vermeint geweſen:
Hos, Lector, flores (ſcilicet pictos) modidus non
diripit Auſter:
Tu lege delicias lumine, non manibus.

Das Wort legere heiſt ſo wol leſen wie in ei-
nem Buch/ als auch aufleſen/ wie die Fruͤchte
oder Blumen aufgeleſen und geſamlet werden.

Die Blumen laͤſſt der Wind von Suden
her geneſen/
du ſolſt ſie mit dem Aug/ nicht mit den
Haͤnden leſen.

45. Wann aber das Wort in unſrer Spra-

che
C jv
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[39/0071] Von der Nachahmung. eine andre ſchickliche Gleichniß zugebrauchen/ o- der wie hier/ von dem wettlauffen zuverhar- ren/ als welche der erſten Meinung genugſam und deutlicher ausdrucket/ und der jenige ver- leurt das Lob eines Dolmetſchers/ welchen man nicht oder ſchwerlich verſtehen kan. Wann ein Frantzos oder ein Jtalianer ein teutſches Kleid anziehet/ ſol es ihm ſo gerecht ſeyn/ dz man ihn fuͤꝛ keinẽ Frẽden/ ſondern fuͤr einẽ gebornẽ Teutſchen haltẽ kã. Jch will ſagẽ/ dz die beſte Dolmetſchung iſt/ welche mã fuͤr keine Dolmetſchung haͤlt. 44. Es finden ſich auch zuweilen zweydeuti- ge Woͤrter/ welchen der Nachdruck der Rede beruhet/ und ſind ſolche mit dergleichen Teut- ſchenzweydeutigen Woͤrtern oder (æquivocis) zu dolmetſchen/ wie in nachgehenden Verslein/ ſo zu einem Blumenbuch vermeint geweſen: Hos, Lector, flores (ſcilicet pictos) modidus non diripit Auſter: Tu lege delicias lumine, non manibus. Das Wort legere heiſt ſo wol leſen wie in ei- nem Buch/ als auch aufleſen/ wie die Fruͤchte oder Blumen aufgeleſen und geſamlet werden. Die Blumen laͤſſt der Wind von Suden her geneſen/ du ſolſt ſie mit dem Aug/ nicht mit den Haͤnden leſen. 45. Wann aber das Wort in unſrer Spra- che C jv

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/71>, abgerufen am 29.03.2024.