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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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IV.
jetzt gemeldet worden/ da keine oder gesparsame
Zierlichkeit von nöhten ist/ oder daß solche Lehre
nicht schwer wie in Philosophicis/ so muß für al-
len dingen auf den Zweck und wie zu solchem zu
gelangen/ das Absehen gerichtet werden. Ein
Baumeister würde thöricht handlen/ wann er
einen Burger oder Bauren einen Königlichen Pa-
last bauen wolte; oder wann er einen in einem Fürst-
lichen Gebäue das Meisterstück seiner Kunste
an den vergulden Rosen und Zierrathen zuer-
weisen vermeinte: Also ist die Wort-Zier zu der
Wolständigkeit von nöhten/ die gehörige Ver-
fassung aber der gantz ordentlichen und nach der
Zeit/ Ort und Beschaffenheit der Personen
schickliche Rede* die Haubtsache/ dara am mein-
sten gelegen. Ein Diamant in Bley ist schatzba-
rer/ als ein Opal in Gold gefasset.

36. Der Redner und Poet sol sich befleissigen
vernünfftige Lehrsprüche einzumischen/ und von
der Sache selbst herzuführen/ jedoch sollen solche
nicht zuviel mit Haaren herbeygezogen/ und in
die Rede genöhtiget werden: Deßwegen etliche
den beredten Senecam beschuldigen/ daß er zu-
viel dieses Bisams seinen Sendschreiben einge-
streuet/ welcher allzustarke Geruch deß Lesers Ge-
hirn vielmehr schwäche/ als stärke. Andre verglei-
chen besagte Lehrsprüche mit dem Gewürtz wel-

ches
* pectus est: quod eloquentem facit. Lips

IV.
jetzt gemeldet worden/ da keine oder geſparſame
Zierlichkeit von noͤhten iſt/ oder daß ſolche Lehre
nicht ſchwer wie in Philoſophicis/ ſo muß fuͤr al-
len dingen auf den Zweck und wie zu ſolchem zu
gelangen/ das Abſehen gerichtet werden. Ein
Baumeiſter wuͤrde thoͤricht handlen/ wann er
einen Burger oder Bauren einen Koͤniglichẽ Pa-
laſt bauen wolte; oder wañ er einẽ in einem Fuͤrſt-
lichen Gebaͤue das Meiſterſtuͤck ſeiner Kunſte
an den vergulden Roſen und Zierrathen zuer-
weiſen vermeinte: Alſo iſt die Wort-Zier zu der
Wolſtaͤndigkeit von noͤhten/ die gehoͤrige Ver-
faſſung aber der gantz ordentlichen und nach der
Zeit/ Ort und Beſchaffenheit der Perſonen
ſchickliche Rede* die Haubtſache/ darã am mein-
ſten gelegen. Ein Diamant in Bley iſt ſchatzba-
rer/ als ein Opal in Gold gefaſſet.

36. Der Redner und Poët ſol ſich befleiſſigen
vernuͤnfftige Lehrſpruͤche einzumiſchen/ und von
der Sache ſelbſt herzufuͤhren/ jedoch ſollen ſolche
nicht zuviel mit Haaren herbeygezogen/ und in
die Rede genoͤhtiget werden: Deßwegen etliche
den beredten Senecam beſchuldigen/ daß er zu-
viel dieſes Biſams ſeinen Sendſchreiben einge-
ſtreuet/ welcher allzuſtarke Geruch deß Leſers Ge-
hirn vielmehr ſchwaͤche/ als ſtaͤrke. Andre verglei-
chen beſagte Lehrſpruͤche mit dem Gewuͤrtz wel-

ches
* pectus eſt: quod eloquentem facit. Lipſ
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[32/0064] IV. jetzt gemeldet worden/ da keine oder geſparſame Zierlichkeit von noͤhten iſt/ oder daß ſolche Lehre nicht ſchwer wie in Philoſophicis/ ſo muß fuͤr al- len dingen auf den Zweck und wie zu ſolchem zu gelangen/ das Abſehen gerichtet werden. Ein Baumeiſter wuͤrde thoͤricht handlen/ wann er einen Burger oder Bauren einen Koͤniglichẽ Pa- laſt bauen wolte; oder wañ er einẽ in einem Fuͤrſt- lichen Gebaͤue das Meiſterſtuͤck ſeiner Kunſte an den vergulden Roſen und Zierrathen zuer- weiſen vermeinte: Alſo iſt die Wort-Zier zu der Wolſtaͤndigkeit von noͤhten/ die gehoͤrige Ver- faſſung aber der gantz ordentlichen und nach der Zeit/ Ort und Beſchaffenheit der Perſonen ſchickliche Rede * die Haubtſache/ darã am mein- ſten gelegen. Ein Diamant in Bley iſt ſchatzba- rer/ als ein Opal in Gold gefaſſet. 36. Der Redner und Poët ſol ſich befleiſſigen vernuͤnfftige Lehrſpruͤche einzumiſchen/ und von der Sache ſelbſt herzufuͤhren/ jedoch ſollen ſolche nicht zuviel mit Haaren herbeygezogen/ und in die Rede genoͤhtiget werden: Deßwegen etliche den beredten Senecam beſchuldigen/ daß er zu- viel dieſes Biſams ſeinen Sendſchreiben einge- ſtreuet/ welcher allzuſtarke Geruch deß Leſers Ge- hirn vielmehr ſchwaͤche/ als ſtaͤrke. Andre verglei- chen beſagte Lehrſpruͤche mit dem Gewuͤrtz wel- ches * pectus eſt: quod eloquentem facit. Lipſ

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/64>, abgerufen am 28.03.2024.