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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Von Veränderung der Sprachen.
schlagen/ Schleuder/ Schlingen geschrie-
ben und zärtlich ausgeredet haben wollen. Die
wenige Stammwörter machen eine Sprache
schwer in dem man das Geschechtwort (ge-
nus
) für die Art (pro specie) desselben gebrau-
chen muß: Daher man unter jeden Sachen ei-
gentlichen Namen nicht hat und einem Worte
viel Deutungen beymessen muß.

5. Dergleichen ist auch von der Griechischen
Sprache bewust/ daß die Athische Ausrede
von der Dorischen und Jonischen unterschie-
den gewesen/ von welcher die Lateinische Spra-
che viel Kunst-wörter geborget/ und wegen ih-
rer Armut oder Unglückseligkeit in Zusam-
menfügung der vielsylbigen Wörter/ noch
nicht wiedergeben kan/ sondern zu Behand-
lung aller Wissenschafften von nöhten hat.

6. Von der Römischen oder Lateinischen
Sprache Veränderung und reichem Abfluß
hat der berühmte Scaliger viel geschrieben/
und ist solche mit den siegreichen Waffen in
Hispanien/ Frankreich und Teutschland unter
die Celten ausgebreitet/ durch die fremden
Völker aber samt dero Vaterland so verderbet
und verformet worden/ daß nun kein Land in
der Welt ist/ da man durchgehends Lateinisch

zu re-

Von Veraͤnderung der Sprachen.
ſchlagen/ Schleuder/ Schlingen geſchrie-
ben und zaͤrtlich ausgeredet haben wollen. Die
wenige Stammwoͤrter machen eine Sprache
ſchwer in dem man das Geſchechtwort (ge-
nus
) fuͤr die Art (pro ſpecie) deſſelben gebrau-
chen muß: Daher man unter jeden Sachen ei-
gentlichen Namen nicht hat und einem Worte
viel Deutungen beymeſſen muß.

5. Dergleichen iſt auch von der Griechiſchẽ
Sprache bewuſt/ daß die Athiſche Ausrede
von der Doriſchen und Joniſchen unterſchie-
den geweſen/ von welcher die Lateiniſche Spra-
che viel Kunſt-woͤrter geborget/ und wegen ih-
rer Armut oder Ungluͤckſeligkeit in Zuſam-
menfuͤgung der vielſylbigen Woͤrter/ noch
nicht wiedergeben kan/ ſondern zu Behand-
lung aller Wiſſenſchafften von noͤhten hat.

6. Von der Roͤmiſchen oder Lateiniſchen
Sprache Veraͤnderung und reichem Abfluß
hat der beruͤhmte Scaliger viel geſchrieben/
und iſt ſolche mit den ſiegreichen Waffen in
Hiſpanien/ Frankreich und Teutſchland unter
die Celten ausgebreitet/ durch die fremden
Voͤlker aber ſamt dero Vaterland ſo verderbet
und verformet worden/ daß nun kein Land in
der Welt iſt/ da man durchgehends Lateiniſch

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[4/0036] Von Veraͤnderung der Sprachen. ſchlagen/ Schleuder/ Schlingen geſchrie- ben und zaͤrtlich ausgeredet haben wollen. Die wenige Stammwoͤrter machen eine Sprache ſchwer in dem man das Geſchechtwort (ge- nus) fuͤr die Art (pro ſpecie) deſſelben gebrau- chen muß: Daher man unter jeden Sachen ei- gentlichen Namen nicht hat und einem Worte viel Deutungen beymeſſen muß. 5. Dergleichen iſt auch von der Griechiſchẽ Sprache bewuſt/ daß die Athiſche Ausrede von der Doriſchen und Joniſchen unterſchie- den geweſen/ von welcher die Lateiniſche Spra- che viel Kunſt-woͤrter geborget/ und wegen ih- rer Armut oder Ungluͤckſeligkeit in Zuſam- menfuͤgung der vielſylbigen Woͤrter/ noch nicht wiedergeben kan/ ſondern zu Behand- lung aller Wiſſenſchafften von noͤhten hat. 6. Von der Roͤmiſchen oder Lateiniſchen Sprache Veraͤnderung und reichem Abfluß hat der beruͤhmte Scaliger viel geſchrieben/ und iſt ſolche mit den ſiegreichen Waffen in Hiſpanien/ Frankreich und Teutſchland unter die Celten ausgebreitet/ durch die fremden Voͤlker aber ſamt dero Vaterland ſo verderbet und verformet worden/ daß nun kein Land in der Welt iſt/ da man durchgehends Lateiniſch zu re-

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/36>, abgerufen am 19.04.2024.