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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Gedächtniß.
ohn den wir stetig Kinder bleiben/ und gleich als
heut geboren/ die Wissenschafft verlohren/ deß/
das geschehen ist. Die Gedächtniß ist die Sonne/
welche mit viel Freud und Wonne/ lehret/ nehret
und beleuchtet. Das Gehirn ist ein Wax darauf
drucket sich das Bild. Unser Haubt ist gleich der
Uhr/ die durch Kunst und durch die Chur man-
che kleine Rädlein führet etc.

Die Gedächtniß wird gemahlet in Gestalt
einer überschönen Weibsperson/ mittelmässigen
Alters bekräntzt mit Laub von einer Holderstau-
den/ in der Hand haltend einen grossen Nagel/ bey
sich habend einen Hund/ und ist ihre Kleidung
schwartz/ welches die aller beständigste Farbe ist.
wann an Statt deß Hundes ein Löw und ein Ad-
ler darbey ist/ so bedeutet es die unvergessne Wol-
thaten.

143. Gedicht.

Was die Kunstpoeten finden und in reine
Reimen binden die höchste Wolredkunst/ der
Sprachen schönste Zier/ die hochgefürte Art/
was ist und nicht ist vorzustellen/ auszubilden/
aufzumahlen/ zuverfassen/ Kunstrichtig zu ver-
hüllen/ artig zubedeuten. Wir mahlen im Ge-
dicht/ und dichten in den Mahlen die Wort nach
dem Gewicht und nach gantz gleichen Zahlen
gerichtet und geschlicht. Was Göttlichs muß
doch seyn in der Poeterey/ nicht jedem will sie ein/

und
O v

Gedaͤchtniß.
ohn den wir ſtetig Kinder bleiben/ und gleich als
heut geboren/ die Wiſſenſchafft verlohren/ deß/
das geſchehen iſt. Die Gedaͤchtniß iſt die Sonne/
welche mit viel Freud und Wonne/ lehret/ nehret
und beleuchtet. Das Gehirn iſt ein Wax darauf
drucket ſich das Bild. Unſer Haubt iſt gleich der
Uhr/ die durch Kunſt und durch die Chur man-
che kleine Raͤdlein fuͤhret ꝛc.

Die Gedaͤchtniß wird gemahlet in Geſtalt
einer uͤberſchoͤnen Weibsperſon/ mittelmaͤſſigen
Alters bekraͤntzt mit Laub von einer Holderſtau-
den/ in der Hand haltend einen groſſen Nagel/ bey
ſich habend einen Hund/ und iſt ihre Kleidung
ſchwartz/ welches die aller beſtaͤndigſte Farbe iſt.
wann an Statt deß Hundes ein Loͤw und ein Ad-
ler darbey iſt/ ſo bedeutet es die unvergeſſne Wol-
thaten.

143. Gedicht.

Was die Kunſtpoëten finden und in reine
Reimen binden die hoͤchſte Wolredkunſt/ der
Sprachen ſchoͤnſte Zier/ die hochgefuͤrte Art/
was iſt und nicht iſt vorzuſtellen/ auszubilden/
aufzumahlen/ zuverfaſſen/ Kunſtrichtig zu ver-
huͤllen/ artig zubedeuten. Wir mahlen im Ge-
dicht/ und dichten in den Mahlen die Wort nach
dem Gewicht und nach gantz gleichen Zahlen
gerichtet und geſchlicht. Was Goͤttlichs muß
doch ſeyn in der Poêterey/ nicht jedem will ſie ein/

und
O v
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[219[217]/0249] Gedaͤchtniß. ohn den wir ſtetig Kinder bleiben/ und gleich als heut geboren/ die Wiſſenſchafft verlohren/ deß/ das geſchehen iſt. Die Gedaͤchtniß iſt die Sonne/ welche mit viel Freud und Wonne/ lehret/ nehret und beleuchtet. Das Gehirn iſt ein Wax darauf drucket ſich das Bild. Unſer Haubt iſt gleich der Uhr/ die durch Kunſt und durch die Chur man- che kleine Raͤdlein fuͤhret ꝛc. Die Gedaͤchtniß wird gemahlet in Geſtalt einer uͤberſchoͤnen Weibsperſon/ mittelmaͤſſigen Alters bekraͤntzt mit Laub von einer Holderſtau- den/ in der Hand haltend einen groſſen Nagel/ bey ſich habend einen Hund/ und iſt ihre Kleidung ſchwartz/ welches die aller beſtaͤndigſte Farbe iſt. wann an Statt deß Hundes ein Loͤw und ein Ad- ler darbey iſt/ ſo bedeutet es die unvergeſſne Wol- thaten. 143. Gedicht. Was die Kunſtpoëten finden und in reine Reimen binden die hoͤchſte Wolredkunſt/ der Sprachen ſchoͤnſte Zier/ die hochgefuͤrte Art/ was iſt und nicht iſt vorzuſtellen/ auszubilden/ aufzumahlen/ zuverfaſſen/ Kunſtrichtig zu ver- huͤllen/ artig zubedeuten. Wir mahlen im Ge- dicht/ und dichten in den Mahlen die Wort nach dem Gewicht und nach gantz gleichen Zahlen gerichtet und geſchlicht. Was Goͤttlichs muß doch ſeyn in der Poêterey/ nicht jedem will ſie ein/ und O v

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 219[217]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/249>, abgerufen am 19.04.2024.