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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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)Vorrede.(
geblasne/ hochtrabende/ und mit vielen
Figuren verkünstelte Poeterey/ die sich
vielmehr bemühet das natürliche We-
senbild zuverstellen/ als vorzustellen; ja
die Sachen anderst aus zudichten/ als sie
nicht sind/ und das zu erfinden/ was nir-
gendwo befindlich ist.

Wie nun der Poet erstbesagter mas-
sen gestaltet/ wie eine Sache seyn könte/
aber nicht ist/ so führet der redliche Red-
ner die Warheit in dem Schild/ erzehlet
die Umstände und machet den gantzen
Verlauff/ ohne Falschheit ausfindig/
daß es jederman leicht verstehen kan. Die
Beredsamkeit an ihr selber ist eine Gabe
GOttes und der Natur/ welche durch
beharrlichen Fleiß/ und obliegende Ar-
beit/ muß erhalten und behalten werden.

Diese Streitfrag zu entscheiden/ kan
sich fügen/ daß etlichen die Poeterey/ et-
lichen die Redekunst leichter falle und den
Gemütsneigungen vielgemässer käme.
Etliche Reimen zusammen leimen kan

man

)Vorrede.(
geblaſne/ hochtrabende/ und mit vielen
Figuren verkuͤnſtelte Poëterey/ die ſich
vielmehr bemuͤhet das natuͤrliche We-
ſenbild zuverſtellen/ als vorzuſtellen; ja
die Sachen anderſt aus zudichten/ als ſie
nicht ſind/ und das zu erfinden/ was nir-
gendwo befindlich iſt.

Wie nun der Poët erſtbeſagter maſ-
ſen geſtaltet/ wie eine Sache ſeyn koͤnte/
aber nicht iſt/ ſo fuͤhret der redliche Red-
ner die Warheit in dem Schild/ erzehlet
die Umſtaͤnde und machet den gantzen
Verlauff/ ohne Falſchheit ausfindig/
daß es jederman leicht verſtehen kan. Die
Beredſamkeit an ihr ſelber iſt eine Gabe
GOttes und der Natur/ welche durch
beharrlichen Fleiß/ und obliegende Ar-
beit/ muß erhalten und behalten werden.

Dieſe Streitfrag zu entſcheiden/ kan
ſich fuͤgen/ daß etlichen die Poeterey/ et-
lichen die Redekunſt leichter falle und den
Gemuͤtsneigungen vielgemaͤſſer kaͤme.
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[0022] )Vorrede.( geblaſne/ hochtrabende/ und mit vielen Figuren verkuͤnſtelte Poëterey/ die ſich vielmehr bemuͤhet das natuͤrliche We- ſenbild zuverſtellen/ als vorzuſtellen; ja die Sachen anderſt aus zudichten/ als ſie nicht ſind/ und das zu erfinden/ was nir- gendwo befindlich iſt. Wie nun der Poët erſtbeſagter maſ- ſen geſtaltet/ wie eine Sache ſeyn koͤnte/ aber nicht iſt/ ſo fuͤhret der redliche Red- ner die Warheit in dem Schild/ erzehlet die Umſtaͤnde und machet den gantzen Verlauff/ ohne Falſchheit ausfindig/ daß es jederman leicht verſtehen kan. Die Beredſamkeit an ihr ſelber iſt eine Gabe GOttes und der Natur/ welche durch beharrlichen Fleiß/ und obliegende Ar- beit/ muß erhalten und behalten werden. Dieſe Streitfrag zu entſcheiden/ kan ſich fuͤgen/ daß etlichen die Poeterey/ et- lichen die Redekunſt leichter falle und den Gemuͤtsneigungen vielgemaͤſſer kaͤme. Etliche Reimen zuſammen leimen kan man

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/22>, abgerufen am 29.03.2024.