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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Abschnitt/ vonnöhten; die Wörter aber
nach Erheischung deß Gebänds zu ver-
setzen freystehe.

Hierauf habe ich/ nach meiner gerin-
gen Wissenschaft dieser Sachen/ geant-
wortet: daß hingegen zu betrachten; wie
uns unsre Muttersprach bekanter seyn
soll/ als keine fremde; wie die langen und
kurtzen Syllben leichtlich zu erkennen;
wie der Reimwörter sehr viel und der Ab-
schnitt/ wegen derselben völliger Wahl/
sowol als die natürliche Ordnung der
Rede leichtlich könne gefüget werden.

Wann wir/ setzte ich darzu/ mit der
Zeit/ wie mit gegenwärtigem Wein/ um-
giengen/ so solte man die Dicht- und
Reimkunst/ in
VI. Stunden/ wonicht
vollkömmlich/ iedoch zur Noht/ fassen/
und verstehen können. Den Wein/ fuh-
re ich auf Befragen fort/ giesset man
durch Trichter in Flaschen und Fässer/
daß alle Tropffen darvon zu Nutzen kom-
men: die Zeit lassen wir ohne Nutzen ver-

flies-



Abſchnitt/ vonnoͤhten; die Woͤrter aber
nach Erheiſchung deß Gebaͤnds zu ver-
ſetzen freyſtehe.

Hierauf habe ich/ nach meiner gerin-
gen Wiſſenſchaft dieſer Sachen/ geant-
wortet: daß hingegen zu betrachten; wie
uns unſre Mutterſprach bekanter ſeyn
ſoll/ als keine fremde; wie die langen und
kurtzen Syllben leichtlich zu erkennen;
wie der Reimwoͤrter ſehr viel und der Ab-
ſchnitt/ wegen derſelben voͤlliger Wahl/
ſowol als die natuͤrliche Ordnung der
Rede leichtlich koͤnne gefuͤget werden.

Wann wir/ ſetzte ich darzu/ mit der
Zeit/ wie mit gegenwaͤꝛtigem Wein/ um-
giengen/ ſo ſolte man die Dicht- und
Reimkunſt/ in
VI. Stunden/ wonicht
vollkoͤmmlich/ iedoch zur Noht/ faſſen/
und verſtehen koͤnnen. Den Wein/ fuh-
re ich auf Befragen fort/ gieſſet man
durch Trichter in Flaſchen und Faͤſſer/
daß alle Tropffen daꝛvon zu Nutzen kom-
men: die Zeit laſſen wir ohne Nutzen ver-

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[0004] Abſchnitt/ vonnoͤhten; die Woͤrter aber nach Erheiſchung deß Gebaͤnds zu ver- ſetzen freyſtehe. Hierauf habe ich/ nach meiner gerin- gen Wiſſenſchaft dieſer Sachen/ geant- wortet: daß hingegen zu betrachten; wie uns unſre Mutterſprach bekanter ſeyn ſoll/ als keine fremde; wie die langen und kurtzen Syllben leichtlich zu erkennen; wie der Reimwoͤrter ſehr viel und der Ab- ſchnitt/ wegen derſelben voͤlliger Wahl/ ſowol als die natuͤrliche Ordnung der Rede leichtlich koͤnne gefuͤget werden. Wann wir/ ſetzte ich darzu/ mit der Zeit/ wie mit gegenwaͤꝛtigem Wein/ um- giengen/ ſo ſolte man die Dicht- und Reimkunſt/ in VI. Stunden/ wonicht vollkoͤmmlich/ iedoch zur Noht/ faſſen/ und verſtehen koͤnnen. Den Wein/ fuh- re ich auf Befragen fort/ gieſſet man durch Trichter in Flaſchen und Faͤſſer/ daß alle Tropffen daꝛvon zu Nutzen kom- men: die Zeit laſſen wir ohne Nutzen ver- flieſ-

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/4>, abgerufen am 29.03.2024.