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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die erste Stund.
fallen können: die Alten lachen der Jungen Ein-
fälle/ die Jungen der Alten Geschwätz: Jst also
darauf zu sehen/ was recht geredet ist und/ nicht
was diesem oder jenem Klügling oder Faulwitzer/
wie solche Leute Herr Lutherus nennet/ übel oder
wolgefället. Jhr Lob ist eine Schande/ und eines
Verständigen Urtheil ist höher zu achten/ als
hundert Unverständiger dünkler Verwerffung.

13. Etliche vermeinen/ sie habens wol ge-
troffen/ wann sie unziemliche Gedanken verblü-
men/ und Rähtselweis vortragen: sich nachmals
mit einer dopelten Auslegung derselben beschö-
nen wollen. Aber weit gefehlet: Man sol nicht
nur das Böse/ sondern auch den Schein deß Bö-
sen/ und die Gelegenheit Böses zu gedenken/ ver-
meiden. Zwar ist nichts so gut gemeint/ das von
Bösen nicht böß könne gedeutet werden: Man
sihet aber bald/ ob die Schuld deß Dichters/ oder
dem Ausleger deß Gedichts beyzumessen. Kurtz
davon zu reden: Es sol der Poet den Jnhalt seines
Gedichts auf den Nutzen und die Lehre richten:
die Ausführung aber mit schönen Worten/ und
Gedanken leisten/ daß der Leser dardurch belusti-
get/ und ihme gleichsam das Hertz abgewonnen
werde. Zu solchem Ende sol er sich aller unflätigen
Sachen und Wörter enthalten/ weil wir von Na-
tur die Augen/ und Ohren von solchen vnziem-

lichen/
A v

Die erſte Stund.
fallen koͤnnen: die Alten lachen der Jungen Ein-
faͤlle/ die Jungen der Alten Geſchwaͤtz: Jſt alſo
darauf zu ſehen/ was recht geredet iſt und/ nicht
was dieſem oder jenem Kluͤgling oder Faulwitzer/
wie ſolche Leute Herr Lutherus nennet/ uͤbel oder
wolgefaͤllet. Jhr Lob iſt eine Schande/ und eines
Verſtaͤndigen Urtheil iſt hoͤher zu achten/ als
hundert Unverſtaͤndiger duͤnkler Verwerffung.

13. Etliche vermeinen/ ſie habens wol ge-
troffen/ wann ſie unziemliche Gedanken verbluͤ-
men/ und Raͤhtſelweis vortragen: ſich nachmals
mit einer dopelten Auslegung derſelben beſchoͤ-
nen wollen. Aber weit gefehlet: Man ſol nicht
nur das Boͤſe/ ſondern auch den Schein deß Boͤ-
ſen/ und die Gelegenheit Boͤſes zu gedenken/ ver-
meiden. Zwar iſt nichts ſo gut gemeint/ das von
Boͤſen nicht boͤß koͤnne gedeutet werden: Man
ſihet aber bald/ ob die Schuld deß Dichters/ oder
dem Ausleger deß Gedichts beyzumeſſen. Kurtz
davon zu reden: Es ſol der Poet den Jnhalt ſeines
Gedichts auf den Nutzen und die Lehre richten:
die Ausfuͤhrung aber mit ſchoͤnen Worten/ und
Gedanken leiſten/ daß der Leſer dardurch beluſti-
get/ und ihme gleichſam das Hertz abgewonnen
werde. Zu ſolchem Ende ſol er ſich aller unflaͤtigen
Sachen und Woͤrter enthalten/ weil wir von Na-
tur die Augen/ und Ohren von ſolchen vnziem-

lichen/
A v
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[9/0027] Die erſte Stund. fallen koͤnnen: die Alten lachen der Jungen Ein- faͤlle/ die Jungen der Alten Geſchwaͤtz: Jſt alſo darauf zu ſehen/ was recht geredet iſt und/ nicht was dieſem oder jenem Kluͤgling oder Faulwitzer/ wie ſolche Leute Herr Lutherus nennet/ uͤbel oder wolgefaͤllet. Jhr Lob iſt eine Schande/ und eines Verſtaͤndigen Urtheil iſt hoͤher zu achten/ als hundert Unverſtaͤndiger duͤnkler Verwerffung. 13. Etliche vermeinen/ ſie habens wol ge- troffen/ wann ſie unziemliche Gedanken verbluͤ- men/ und Raͤhtſelweis vortragen: ſich nachmals mit einer dopelten Auslegung derſelben beſchoͤ- nen wollen. Aber weit gefehlet: Man ſol nicht nur das Boͤſe/ ſondern auch den Schein deß Boͤ- ſen/ und die Gelegenheit Boͤſes zu gedenken/ ver- meiden. Zwar iſt nichts ſo gut gemeint/ das von Boͤſen nicht boͤß koͤnne gedeutet werden: Man ſihet aber bald/ ob die Schuld deß Dichters/ oder dem Ausleger deß Gedichts beyzumeſſen. Kurtz davon zu reden: Es ſol der Poet den Jnhalt ſeines Gedichts auf den Nutzen und die Lehre richten: die Ausfuͤhrung aber mit ſchoͤnen Worten/ und Gedanken leiſten/ daß der Leſer dardurch beluſti- get/ und ihme gleichſam das Hertz abgewonnen werde. Zu ſolchem Ende ſol er ſich aller unflaͤtigen Sachen und Woͤrter enthalten/ weil wir von Na- tur die Augen/ und Ohren von ſolchen vnziem- lichen/ A v

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/27>, abgerufen am 23.04.2024.