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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650.

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Die erste Stund.
ge: Also muß auch der Jnhalt/ oder die Erfin-
dung deß Gedichts erstlich untersucht/ und in den
Gedanken verfasset werden/ bevor solcher in ge-
bundner Rede zu Papier fliesse Daher jener recht
gesagt: Mein Gedicht ist fertig/ biß auf die
Wort.

7. Der Jnhalt nun eines Gedichts ist frölich/
traurig/ oder begreifft Mittelsachen/ als da sind
Sinnbilder von allerley Händeln/ die in deß Men-
schen Leben vorkommen. Hierbey ist zu bemer-
ken/ daß der Poet keine Kunst oder Wissenschaft/
mit allen Vmständen/ behandelt (er wolle dann
seine Grentzen überschreiten) sondern aus allen
nur so viel entlehnet/ als er zu seinem Vorhaben
vonnöhten hat. Warüm? Die Wissenschaften
sind sehr schwer/ und werden durch die gebundne
Rede noch vielunvernemlicher. Zu dem so ist die
Eigenschaft der Poeterey/ daß man liebliche/ und
leichte Händel wehlen sol. Hierauß ist zu schlies-
sen/ daß der den Namen eines Poeten/ mit Fug/
nicht haben möge/ welcher nicht in den Wissen-
schaften und freyen Künsten wol erfahren sey:
daher auch solche kunstsinnige Gedichte dem ge-
meinen Mann nicht gefallen können/ weil sie ihm
zu hoch/ und er nicht loben kan/ was er nicht ver-
steht. Die andere Art der Gedichte/ welche die
Tugenden und Laster behandelt/ sind leichter/ und

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Die erſte Stund.
ge: Alſo muß auch der Jnhalt/ oder die Erfin-
dung deß Gedichts erſtlich unterſucht/ und in den
Gedanken verfaſſet werden/ bevor ſolcher in ge-
bundner Rede zu Papier flieſſe Daher jener recht
geſagt: Mein Gedicht iſt fertig/ biß auf die
Wort.

7. Der Jnhalt nun eines Gedichts iſt froͤlich/
traurig/ oder begreifft Mittelſachen/ als da ſind
Siñbilder von allerley Haͤndeln/ die in deß Men-
ſchen Leben vorkommen. Hierbey iſt zu bemer-
ken/ daß der Poet keine Kunſt oder Wiſſenſchaft/
mit allen Vmſtaͤnden/ behandelt (er wolle dann
ſeine Grentzen uͤberſchreiten) ſondern aus allen
nur ſo viel entlehnet/ als er zu ſeinem Vorhaben
vonnoͤhten hat. Waruͤm? Die Wiſſenſchaften
ſind ſehr ſchwer/ und werden durch die gebundne
Rede noch vielunvernemlicher. Zu dem ſo iſt die
Eigenſchaft der Poeterey/ daß man liebliche/ und
leichte Haͤndel wehlen ſol. Hierauß iſt zu ſchlieſ-
ſen/ daß der den Namen eines Poeten/ mit Fug/
nicht haben moͤge/ welcher nicht in den Wiſſen-
ſchaften und freyen Kuͤnſten wol erfahren ſey:
daher auch ſolche kunſtſinnige Gedichte dem ge-
meinen Mann nicht gefallen koͤnnen/ weil ſie ihm
zu hoch/ und er nicht loben kan/ was er nicht ver-
ſteht. Die andere Art der Gedichte/ welche die
Tugenden und Laſter behandelt/ ſind leichter/ und

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[5/0023] Die erſte Stund. ge: Alſo muß auch der Jnhalt/ oder die Erfin- dung deß Gedichts erſtlich unterſucht/ und in den Gedanken verfaſſet werden/ bevor ſolcher in ge- bundner Rede zu Papier flieſſe Daher jener recht geſagt: Mein Gedicht iſt fertig/ biß auf die Wort. 7. Der Jnhalt nun eines Gedichts iſt froͤlich/ traurig/ oder begreifft Mittelſachen/ als da ſind Siñbilder von allerley Haͤndeln/ die in deß Men- ſchen Leben vorkommen. Hierbey iſt zu bemer- ken/ daß der Poet keine Kunſt oder Wiſſenſchaft/ mit allen Vmſtaͤnden/ behandelt (er wolle dann ſeine Grentzen uͤberſchreiten) ſondern aus allen nur ſo viel entlehnet/ als er zu ſeinem Vorhaben vonnoͤhten hat. Waruͤm? Die Wiſſenſchaften ſind ſehr ſchwer/ und werden durch die gebundne Rede noch vielunvernemlicher. Zu dem ſo iſt die Eigenſchaft der Poeterey/ daß man liebliche/ und leichte Haͤndel wehlen ſol. Hierauß iſt zu ſchlieſ- ſen/ daß der den Namen eines Poeten/ mit Fug/ nicht haben moͤge/ welcher nicht in den Wiſſen- ſchaften und freyen Kuͤnſten wol erfahren ſey: daher auch ſolche kunſtſinnige Gedichte dem ge- meinen Mann nicht gefallen koͤnnen/ weil ſie ihm zu hoch/ und er nicht loben kan/ was er nicht ver- ſteht. Die andere Art der Gedichte/ welche die Tugenden und Laſter behandelt/ ſind leichter/ und wer- A iij

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 1. 2. Aufl. Nürnberg, 1650, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter01_1650/23>, abgerufen am 29.03.2024.