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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.

Die Geschichtschreibung, noch ausschließlich lateinisch und in den
Händen der Mönche und Weltgeistlichen, wächst beständig an Umfang, an
Weite des Gesichtskreises, an geistiger und sprachlicher Gewandtheit. Zu-
nächst bleibt auch die Ruhe der vorigen Epoche bewahrt. Wipo's Leben
Kaiser Konrads
II. (SS. r. G. ed. II) ist für diesen Herrscher die wert-
vollste Quelle, gut unterrichtet, wenn auch nicht ohne höfische Rücksichten,
warm, lebendig, künstlerisch, nicht frei von Rhetorik. Daneben kommt für
die ersten Salier die reich entwickelte Annalistik in Betracht, meist von
unbekannten, wechselnden Verfassern, mit späteren Fortsetzungen, mehrfach
in ihrer ursprünglichen Gestalt verloren und nur aus jüngeren Ableitungen zu
erschließen; so die vielumstrittenen Schwäbischen Reichsannalen und
die neuerdings in ihrer Existenz auch wieder bezweifelten größeren Hildes-
heimer Annalen
(bis 1043; Auszug daraus bis 1040 die Ann. Hild., SS.
r. G.), vor allem aber die größeren Altaicher Annalen (Niederaltaich in
Bayern) bis 1073, die, von Giesebrecht aus Ableitungen hergestellt, dann in
Abschrift Aventins wieder aufgefunden, für die Jahrzehnte von 1041 ab reiche,
verläßliche Nachrichten bieten (SS. r. G. ed. II). Die ähnlich von Scheffer-
Boichorst hergestellten Paderborner Annalen (Ausg. 1870) reichen bis
in die Stauferzeit, bis 1144 (1189).

Über diese, wesentlich der Stoffmitteilung dienende, annalistische Form
erhebt sich die Chronik Hermanns des Lahmen von Reichenau bis
1054, neben der kurzen, mit ihr auf dieselbe Quelle zurückgehenden schwä-
bischen Weltchronik
die erste erhaltene bis auf Christi Geburt zurück-
gehende Weltchronik dieser Epoche, durch Genauigkeit und Auswahl be-
merkenswert und von 1040 ab auch eine zuverlässige zeitgenössische Quelle.

Die Ruhe dieser älteren salischen Reichsgeschichtschreibung wird unter-
brochen durch die leidenschaftliche Bewegung des Investiturstreits, der auf
lange jede gerechte Würdigung der Zeitereignisse ausschließt, die meisten
Geschichtswerke zu Parteischriften macht und ihren Quellenwert mindert, aber
auch die Geister aufpeitscht, den Blick weitet, das Urteil schärft, die Indivi-
dualität der Verfasser stärker hervortreten und überdies die literarische Produktion
mächtig anschwellen läßt. Die oft wiederholte Meinung von den verheerenden
Wirkungen des Kampfes für die deutsche Geschichtschreibung dürfte daher
mindestens einseitig sein. Wird der Wahrheitsinn zunächst von Leidenschaft
getrübt, und die Feststellung des Tatbestandes der modernen Forschung er-
schwert, so sieht man die Dinge dafür nun von ganz verschiedenen Seiten
und wird in Denken und Fühlen der Zeit viel tiefer als früher eingeführt.

Schon der Schüler und Fortsetzer der Chronik Hermanns von Reichenau
Berthold bis 1074 vermag in den letzten Jahren die ruhige, reichsfreundliche
Stimmung nicht zu bewahren; von 1075-80 wird der Ton derart feindselig
gegen Heinrich IV., daß man einen anderen Annalisten als Verfasser an-
nimmt. Von demselben Ausgangspunkt (Hermann und Berthold) aus erzählt

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 1
I. Die Zeit der Salier.

Die Geschichtschreibung, noch ausschließlich lateinisch und in den
Händen der Mönche und Weltgeistlichen, wächst beständig an Umfang, an
Weite des Gesichtskreises, an geistiger und sprachlicher Gewandtheit. Zu-
nächst bleibt auch die Ruhe der vorigen Epoche bewahrt. Wipo's Leben
Kaiser Konrads
II. (SS. r. G. ed. II) ist für diesen Herrscher die wert-
vollste Quelle, gut unterrichtet, wenn auch nicht ohne höfische Rücksichten,
warm, lebendig, künstlerisch, nicht frei von Rhetorik. Daneben kommt für
die ersten Salier die reich entwickelte Annalistik in Betracht, meist von
unbekannten, wechselnden Verfassern, mit späteren Fortsetzungen, mehrfach
in ihrer ursprünglichen Gestalt verloren und nur aus jüngeren Ableitungen zu
erschließen; so die vielumstrittenen Schwäbischen Reichsannalen und
die neuerdings in ihrer Existenz auch wieder bezweifelten größeren Hildes-
heimer Annalen
(bis 1043; Auszug daraus bis 1040 die Ann. Hild., SS.
r. G.), vor allem aber die größeren Altaicher Annalen (Niederaltaich in
Bayern) bis 1073, die, von Giesebrecht aus Ableitungen hergestellt, dann in
Abschrift Aventins wieder aufgefunden, für die Jahrzehnte von 1041 ab reiche,
verläßliche Nachrichten bieten (SS. r. G. ed. II). Die ähnlich von Scheffer-
Boichorst hergestellten Paderborner Annalen (Ausg. 1870) reichen bis
in die Stauferzeit, bis 1144 (1189).

Über diese, wesentlich der Stoffmitteilung dienende, annalistische Form
erhebt sich die Chronik Hermanns des Lahmen von Reichenau bis
1054, neben der kurzen, mit ihr auf dieselbe Quelle zurückgehenden schwä-
bischen Weltchronik
die erste erhaltene bis auf Christi Geburt zurück-
gehende Weltchronik dieser Epoche, durch Genauigkeit und Auswahl be-
merkenswert und von 1040 ab auch eine zuverlässige zeitgenössische Quelle.

Die Ruhe dieser älteren salischen Reichsgeschichtschreibung wird unter-
brochen durch die leidenschaftliche Bewegung des Investiturstreits, der auf
lange jede gerechte Würdigung der Zeitereignisse ausschließt, die meisten
Geschichtswerke zu Parteischriften macht und ihren Quellenwert mindert, aber
auch die Geister aufpeitscht, den Blick weitet, das Urteil schärft, die Indivi-
dualität der Verfasser stärker hervortreten und überdies die literarische Produktion
mächtig anschwellen läßt. Die oft wiederholte Meinung von den verheerenden
Wirkungen des Kampfes für die deutsche Geschichtschreibung dürfte daher
mindestens einseitig sein. Wird der Wahrheitsinn zunächst von Leidenschaft
getrübt, und die Feststellung des Tatbestandes der modernen Forschung er-
schwert, so sieht man die Dinge dafür nun von ganz verschiedenen Seiten
und wird in Denken und Fühlen der Zeit viel tiefer als früher eingeführt.

Schon der Schüler und Fortsetzer der Chronik Hermanns von Reichenau
Berthold bis 1074 vermag in den letzten Jahren die ruhige, reichsfreundliche
Stimmung nicht zu bewahren; von 1075‒80 wird der Ton derart feindselig
gegen Heinrich IV., daß man einen anderen Annalisten als Verfasser an-
nimmt. Von demselben Ausgangspunkt (Hermann und Berthold) aus erzählt

Hampe, Deutsche Kaisergeschichte. 1
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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/9>, abgerufen am 29.03.2024.