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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065-1075).
Ergebnis dieser Kindheit voller Scheinmacht und Demütigungen,
und nach solchen Disharmonien der Jugendzeit hat das wildbewegte
spätere Leben seine leidenschaftliche Natur nie zu innerer Ausge-
glichenheit gelangen lassen; maßloser Überschwang und hoffnungs-
leere Verzagtheit wechselten miteinander, aber stets erfolgte neues
Emporraffen. Mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit, mit
kriegerischer Unermüdlichkeit und der oft bewährten Gabe, nach
Niederlagen eine fast verlorene Sache herzustellen, mit einer klug
berechnenden, hinterhältigen, meist glänzend erfolgreichen Diplo-
matie hat er, von vornherein in überaus schwieriger Lage und
wiederholt von den entsetzlichsten Schicksalsschlägen heimgesucht,
den gewaltigen Kampf seines Lebens durchgefochten, allmählich
durch Züge von Milde und Großmut, durch seine friedenfördernde
Tätigkeit und sozialausgleichende Barmherzigkeit die Liebe breiter
Schichten seines Volkes erringend, -- in so mancher Hinsicht von
unverkennbarer Ähnlichkeit mit der reicheren und machtvolleren
Natur Kaiser Friedrichs II.

Heinrich begann, so hat man Nitzsch oft nachgesprochen, in
seiner ersten Regierungsepoche als ein die Verfassung umstürzender
Revolutionär, um später als ihr letzter Verteidiger zu enden; doch
entspricht diese zugespitzte Formulierung kaum der geschichtlichen
Wahrheit. Temperament, Macht und Taktik waren bei dem "wie
ein mutiges Schlachtroß" vorwärtsstürmenden Jüngling gewiß ver-
schieden von dem in die Verteidigung zurückgeworfenen, früh
alternden Manne, aber das Ziel war hier wie dort das gleiche: Er-
haltung und Stärkung der Königsmacht. Es galt die Einbußen an
Besitz, Rechten und Ansehen wieder einzubringen, die das deutsche
Königtum während der Minderjährigkeitsregierung erlitten hatte.
Diese Politik lenkte ganz zu Konrad II. zurück, sie beabsichtigte
schwerlich die ottonische Verfassung einem Absolutismus zu Liebe
umzustoßen, sie war reaktionär, nicht revolutionär. Mit Hilfe der
Fürsten aber, denen die Entwicklung der letzten Jahrzehnte wesent-
lich zugute gekommen war, konnte sie natürlich nicht durchgeführt
werden. Einzig Adalbert von Bremen, der ja unter den Fürsten
stets eine Sonderstellung eingenommen, trat jetzt noch einmal kurz
vor seinem Tode (+ 1072) am Hofe bedeutsam hervor; neben ihm
aber gewannen Ministerialen in steigendem Maße Einfluß auf den
König.

Unter den Fürsten der mächtigste war damals Otto von Nord-
heim, der mit ausgedehnten sächsischen Eigengütern und Lehen das
ihm von Agnes verliehene Herzogtum Bayern verband, zugleich staats-
männisch und strategisch der fähigste Kopf in Deutschland. Diesen
für die Ausdehnungspolitik des Königs besonders gefährlichen Macht-

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075).
Ergebnis dieser Kindheit voller Scheinmacht und Demütigungen,
und nach solchen Disharmonien der Jugendzeit hat das wildbewegte
spätere Leben seine leidenschaftliche Natur nie zu innerer Ausge-
glichenheit gelangen lassen; maßloser Überschwang und hoffnungs-
leere Verzagtheit wechselten miteinander, aber stets erfolgte neues
Emporraffen. Mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit, mit
kriegerischer Unermüdlichkeit und der oft bewährten Gabe, nach
Niederlagen eine fast verlorene Sache herzustellen, mit einer klug
berechnenden, hinterhältigen, meist glänzend erfolgreichen Diplo-
matie hat er, von vornherein in überaus schwieriger Lage und
wiederholt von den entsetzlichsten Schicksalsschlägen heimgesucht,
den gewaltigen Kampf seines Lebens durchgefochten, allmählich
durch Züge von Milde und Großmut, durch seine friedenfördernde
Tätigkeit und sozialausgleichende Barmherzigkeit die Liebe breiter
Schichten seines Volkes erringend, — in so mancher Hinsicht von
unverkennbarer Ähnlichkeit mit der reicheren und machtvolleren
Natur Kaiser Friedrichs II.

Heinrich begann, so hat man Nitzsch oft nachgesprochen, in
seiner ersten Regierungsepoche als ein die Verfassung umstürzender
Revolutionär, um später als ihr letzter Verteidiger zu enden; doch
entspricht diese zugespitzte Formulierung kaum der geschichtlichen
Wahrheit. Temperament, Macht und Taktik waren bei dem „wie
ein mutiges Schlachtroß“ vorwärtsstürmenden Jüngling gewiß ver-
schieden von dem in die Verteidigung zurückgeworfenen, früh
alternden Manne, aber das Ziel war hier wie dort das gleiche: Er-
haltung und Stärkung der Königsmacht. Es galt die Einbußen an
Besitz, Rechten und Ansehen wieder einzubringen, die das deutsche
Königtum während der Minderjährigkeitsregierung erlitten hatte.
Diese Politik lenkte ganz zu Konrad II. zurück, sie beabsichtigte
schwerlich die ottonische Verfassung einem Absolutismus zu Liebe
umzustoßen, sie war reaktionär, nicht revolutionär. Mit Hilfe der
Fürsten aber, denen die Entwicklung der letzten Jahrzehnte wesent-
lich zugute gekommen war, konnte sie natürlich nicht durchgeführt
werden. Einzig Adalbert von Bremen, der ja unter den Fürsten
stets eine Sonderstellung eingenommen, trat jetzt noch einmal kurz
vor seinem Tode († 1072) am Hofe bedeutsam hervor; neben ihm
aber gewannen Ministerialen in steigendem Maße Einfluß auf den
König.

Unter den Fürsten der mächtigste war damals Otto von Nord-
heim, der mit ausgedehnten sächsischen Eigengütern und Lehen das
ihm von Agnes verliehene Herzogtum Bayern verband, zugleich staats-
männisch und strategisch der fähigste Kopf in Deutschland. Diesen
für die Ausdehnungspolitik des Königs besonders gefährlichen Macht-

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[39/0047] § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075). Ergebnis dieser Kindheit voller Scheinmacht und Demütigungen, und nach solchen Disharmonien der Jugendzeit hat das wildbewegte spätere Leben seine leidenschaftliche Natur nie zu innerer Ausge- glichenheit gelangen lassen; maßloser Überschwang und hoffnungs- leere Verzagtheit wechselten miteinander, aber stets erfolgte neues Emporraffen. Mit dem Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit, mit kriegerischer Unermüdlichkeit und der oft bewährten Gabe, nach Niederlagen eine fast verlorene Sache herzustellen, mit einer klug berechnenden, hinterhältigen, meist glänzend erfolgreichen Diplo- matie hat er, von vornherein in überaus schwieriger Lage und wiederholt von den entsetzlichsten Schicksalsschlägen heimgesucht, den gewaltigen Kampf seines Lebens durchgefochten, allmählich durch Züge von Milde und Großmut, durch seine friedenfördernde Tätigkeit und sozialausgleichende Barmherzigkeit die Liebe breiter Schichten seines Volkes erringend, — in so mancher Hinsicht von unverkennbarer Ähnlichkeit mit der reicheren und machtvolleren Natur Kaiser Friedrichs II. Heinrich begann, so hat man Nitzsch oft nachgesprochen, in seiner ersten Regierungsepoche als ein die Verfassung umstürzender Revolutionär, um später als ihr letzter Verteidiger zu enden; doch entspricht diese zugespitzte Formulierung kaum der geschichtlichen Wahrheit. Temperament, Macht und Taktik waren bei dem „wie ein mutiges Schlachtroß“ vorwärtsstürmenden Jüngling gewiß ver- schieden von dem in die Verteidigung zurückgeworfenen, früh alternden Manne, aber das Ziel war hier wie dort das gleiche: Er- haltung und Stärkung der Königsmacht. Es galt die Einbußen an Besitz, Rechten und Ansehen wieder einzubringen, die das deutsche Königtum während der Minderjährigkeitsregierung erlitten hatte. Diese Politik lenkte ganz zu Konrad II. zurück, sie beabsichtigte schwerlich die ottonische Verfassung einem Absolutismus zu Liebe umzustoßen, sie war reaktionär, nicht revolutionär. Mit Hilfe der Fürsten aber, denen die Entwicklung der letzten Jahrzehnte wesent- lich zugute gekommen war, konnte sie natürlich nicht durchgeführt werden. Einzig Adalbert von Bremen, der ja unter den Fürsten stets eine Sonderstellung eingenommen, trat jetzt noch einmal kurz vor seinem Tode († 1072) am Hofe bedeutsam hervor; neben ihm aber gewannen Ministerialen in steigendem Maße Einfluß auf den König. Unter den Fürsten der mächtigste war damals Otto von Nord- heim, der mit ausgedehnten sächsischen Eigengütern und Lehen das ihm von Agnes verliehene Herzogtum Bayern verband, zugleich staats- männisch und strategisch der fähigste Kopf in Deutschland. Diesen für die Ausdehnungspolitik des Königs besonders gefährlichen Macht-

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/47>, abgerufen am 20.04.2024.