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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
als einen Vorkämpfer wider die Hierarchie auf den Schild hoben,
da war der wissenschaftlichen Begründung doch wieder allzuviel
Parteiinteresse beigemischt. Erst die Quellenkritik des 19. Jahr-
hunderts schuf den Boden für eine wirklich historische Auffas-
sung.1) Aber noch heute haben sich die Meinungen nicht völlig
geklärt.

Heinrich war eine hochgewachsene, einnehmende Erscheinung,
aber nicht von zuverlässiger Gesundheit. Über seine ungewöhnlich
hohe Begabung und seinen natürlichen Scharfblick herrscht nur
eine Stimme bei Freund und Feind. Unter der Leitung geistlicher
Fürsten aufgewachsen, hatte er sich eine gute literarische Bildung
erworben: Lateinkenntnisse, Freude an Lektüre und wissenschaft-
lichen Erörterungen, Verständnis für Musik und Baukunst. Aber
solche Neigungen berührten nicht sein innerstes Wesen; der kirch-
lich-ethischen Grundrichtung des Vaters stand er fern, viel näher
verwandt der Laiennatur Konrads II. Dem auf den Knaben ge-
übten Zwange setzte sich der Jüngling mit um so selbstherrlicherem
Trotze entgegen, die erlangte Freiheit in sittlicher Ungebundenheit
mißbrauchend, ohne indes, wie es scheint, die Grenzen zu über-
schreiten, in denen sich damals das Leben der adligen Jugend
durchschnittlich bewegte.2) Daß er zeitweilig seine junge Ehe mit
Bertha von Turin, deren Verlobter er mit fünf, deren Gatte er
mit fünfzehn Jahren geworden, zu zersprengen strebte (1069) und
erst vor dem Widerspruche des Papstes zurückwich, wird nicht
zum wenigsten das Gerede auf sein sittliches Verhalten gelenkt
haben.

Ein hochgespannter Herrscherstolz, oft verletzend und zum
Widerstand herausfordernd, aber auch trotz Canossa verbunden mit
einem lebhaften Gefühl für die Würde des Reiches, war das weitere

1) Bahnbrechend war Rankes Lambertkritik (vgl. S. 2). Floto (Kaiser
H. IV. u. s. Zeitalter 2 Bde. 1855-56) gab zuerst eine warmempfundene, aber
im politischen Urteil noch nicht ausgereifte Darstellung; auch Giesebrechts
umfassendere, philologisch tüchtigere Behandlung blieb noch zu sehr im Banne
der Überlieferung. Tiefer suchte Nitzsch in die Ursachen der Geschehnisse
einzudringen, trotz mancher Verfehlungen und konstruktiven Gewaltsamkeiten
gerade für diese Epoche anregend und bedeutend. Treten in der großartigen
Darstellung von Rankes Weltgesch. die persönlichen Züge zurück, so bringt
Hauck auch hier selbständige und feinsinnige Beobachtungen, während sich
in der gewaltigen und für jede Weiterarbeit unentbehrlichen Stoffsammlung
Meyers v. Knonau (Jahrb. d. d. Reiches unter H. IV., Bd. 1--5, 1890-1904)
kaum Ansätze zu einer zusammenfassenden Beurteilung Heinrichs und seiner
Politik finden.
2) Alle darüber hinausgehenden Anschuldigungen der Gegner sind viel-
mehr als elende Verläumdungen zu betrachten und können zum Teil in ihrer
legendarischen Weiterbildung verfolgt werden.

I. Die Zeit der Salier.
als einen Vorkämpfer wider die Hierarchie auf den Schild hoben,
da war der wissenschaftlichen Begründung doch wieder allzuviel
Parteiinteresse beigemischt. Erst die Quellenkritik des 19. Jahr-
hunderts schuf den Boden für eine wirklich historische Auffas-
sung.1) Aber noch heute haben sich die Meinungen nicht völlig
geklärt.

Heinrich war eine hochgewachsene, einnehmende Erscheinung,
aber nicht von zuverlässiger Gesundheit. Über seine ungewöhnlich
hohe Begabung und seinen natürlichen Scharfblick herrscht nur
eine Stimme bei Freund und Feind. Unter der Leitung geistlicher
Fürsten aufgewachsen, hatte er sich eine gute literarische Bildung
erworben: Lateinkenntnisse, Freude an Lektüre und wissenschaft-
lichen Erörterungen, Verständnis für Musik und Baukunst. Aber
solche Neigungen berührten nicht sein innerstes Wesen; der kirch-
lich-ethischen Grundrichtung des Vaters stand er fern, viel näher
verwandt der Laiennatur Konrads II. Dem auf den Knaben ge-
übten Zwange setzte sich der Jüngling mit um so selbstherrlicherem
Trotze entgegen, die erlangte Freiheit in sittlicher Ungebundenheit
mißbrauchend, ohne indes, wie es scheint, die Grenzen zu über-
schreiten, in denen sich damals das Leben der adligen Jugend
durchschnittlich bewegte.2) Daß er zeitweilig seine junge Ehe mit
Bertha von Turin, deren Verlobter er mit fünf, deren Gatte er
mit fünfzehn Jahren geworden, zu zersprengen strebte (1069) und
erst vor dem Widerspruche des Papstes zurückwich, wird nicht
zum wenigsten das Gerede auf sein sittliches Verhalten gelenkt
haben.

Ein hochgespannter Herrscherstolz, oft verletzend und zum
Widerstand herausfordernd, aber auch trotz Canossa verbunden mit
einem lebhaften Gefühl für die Würde des Reiches, war das weitere

1) Bahnbrechend war Rankes Lambertkritik (vgl. S. 2). Floto (Kaiser
H. IV. u. s. Zeitalter 2 Bde. 1855‒56) gab zuerst eine warmempfundene, aber
im politischen Urteil noch nicht ausgereifte Darstellung; auch Giesebrechts
umfassendere, philologisch tüchtigere Behandlung blieb noch zu sehr im Banne
der Überlieferung. Tiefer suchte Nitzsch in die Ursachen der Geschehnisse
einzudringen, trotz mancher Verfehlungen und konstruktiven Gewaltsamkeiten
gerade für diese Epoche anregend und bedeutend. Treten in der großartigen
Darstellung von Rankes Weltgesch. die persönlichen Züge zurück, so bringt
Hauck auch hier selbständige und feinsinnige Beobachtungen, während sich
in der gewaltigen und für jede Weiterarbeit unentbehrlichen Stoffsammlung
Meyers v. Knonau (Jahrb. d. d. Reiches unter H. IV., Bd. 1—5, 1890‒1904)
kaum Ansätze zu einer zusammenfassenden Beurteilung Heinrichs und seiner
Politik finden.
2) Alle darüber hinausgehenden Anschuldigungen der Gegner sind viel-
mehr als elende Verläumdungen zu betrachten und können zum Teil in ihrer
legendarischen Weiterbildung verfolgt werden.
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[38/0046] I. Die Zeit der Salier. als einen Vorkämpfer wider die Hierarchie auf den Schild hoben, da war der wissenschaftlichen Begründung doch wieder allzuviel Parteiinteresse beigemischt. Erst die Quellenkritik des 19. Jahr- hunderts schuf den Boden für eine wirklich historische Auffas- sung. 1) Aber noch heute haben sich die Meinungen nicht völlig geklärt. Heinrich war eine hochgewachsene, einnehmende Erscheinung, aber nicht von zuverlässiger Gesundheit. Über seine ungewöhnlich hohe Begabung und seinen natürlichen Scharfblick herrscht nur eine Stimme bei Freund und Feind. Unter der Leitung geistlicher Fürsten aufgewachsen, hatte er sich eine gute literarische Bildung erworben: Lateinkenntnisse, Freude an Lektüre und wissenschaft- lichen Erörterungen, Verständnis für Musik und Baukunst. Aber solche Neigungen berührten nicht sein innerstes Wesen; der kirch- lich-ethischen Grundrichtung des Vaters stand er fern, viel näher verwandt der Laiennatur Konrads II. Dem auf den Knaben ge- übten Zwange setzte sich der Jüngling mit um so selbstherrlicherem Trotze entgegen, die erlangte Freiheit in sittlicher Ungebundenheit mißbrauchend, ohne indes, wie es scheint, die Grenzen zu über- schreiten, in denen sich damals das Leben der adligen Jugend durchschnittlich bewegte. 2) Daß er zeitweilig seine junge Ehe mit Bertha von Turin, deren Verlobter er mit fünf, deren Gatte er mit fünfzehn Jahren geworden, zu zersprengen strebte (1069) und erst vor dem Widerspruche des Papstes zurückwich, wird nicht zum wenigsten das Gerede auf sein sittliches Verhalten gelenkt haben. Ein hochgespannter Herrscherstolz, oft verletzend und zum Widerstand herausfordernd, aber auch trotz Canossa verbunden mit einem lebhaften Gefühl für die Würde des Reiches, war das weitere 1) Bahnbrechend war Rankes Lambertkritik (vgl. S. 2). Floto (Kaiser H. IV. u. s. Zeitalter 2 Bde. 1855‒56) gab zuerst eine warmempfundene, aber im politischen Urteil noch nicht ausgereifte Darstellung; auch Giesebrechts umfassendere, philologisch tüchtigere Behandlung blieb noch zu sehr im Banne der Überlieferung. Tiefer suchte Nitzsch in die Ursachen der Geschehnisse einzudringen, trotz mancher Verfehlungen und konstruktiven Gewaltsamkeiten gerade für diese Epoche anregend und bedeutend. Treten in der großartigen Darstellung von Rankes Weltgesch. die persönlichen Züge zurück, so bringt Hauck auch hier selbständige und feinsinnige Beobachtungen, während sich in der gewaltigen und für jede Weiterarbeit unentbehrlichen Stoffsammlung Meyers v. Knonau (Jahrb. d. d. Reiches unter H. IV., Bd. 1—5, 1890‒1904) kaum Ansätze zu einer zusammenfassenden Beurteilung Heinrichs und seiner Politik finden. 2) Alle darüber hinausgehenden Anschuldigungen der Gegner sind viel- mehr als elende Verläumdungen zu betrachten und können zum Teil in ihrer legendarischen Weiterbildung verfolgt werden.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/46>, abgerufen am 28.03.2024.