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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056-1065).
können, aber die beabsichtigte Romfahrt ward erstmals, wie wir
schon sahen, durch die Eifersucht Adalberts gegen Anno hinter-
trieben (1065). Dann, als man bei erneuter Bedrohung durch die
in Kampanien vordringenden Normannen Richards von Capua an
der Kurie selbst den Zug zeitweilig wünschte, war es Herzog Gottfried
von Lothringen, der, besorgt um seinen Einfluß in Italien, das
Unternehmen vereitelte (1066-67). Alsbald stellte Hildebrand,
dem jede Einmischung der Reichsregierung unlieb war, das frühere
Verhältnis zu den Normannen her, und diese beschränkten sich
nun auf die Ausdehnung nach Süden, wo 1072 mit der Einnahme
von Palermo durch Herzog Robert und seinen Bruder Graf Roger
die Eroberung Siziliens entschieden wurde.

In demselben Jahre sank mit dem Tode des Cadalus der
letzte Rest des Schismas dahin. Es war das erste Mal, daß ein
von der kaiserlichen Regierung aufgestellter Papst nicht zum Sieg
gelangte. Von nun ab sollte das nie mehr geschehen. Das allein
zeigt die Wendung, die sich in dem Verhältnis von Kaisertum und
Papsttum vollzogen hatte. Für die deutsche Geschichte aber war
dies Jahrzehnt nach Heinrichs III. Tode, diese Kette von Unsicher-
heit, Zerfahrenheit und Fürsteneigennutz, eine der schmachvollsten
Episoden. Die Stellung des jungen Königs war dadurch von vorn-
herein unheilvoll geschwächt, als er nun selbständigen Anteil an
der Regierung zu nehmen begann.

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII.
(1065-1075).

Heinrich IV. und Gregor VII. treten hinfort in den Mittelpunkt
der Ereignisse, beide von zeitgenössischen Gegnern und Nachwelt ver-
unglimpft und verkannt; Heinrichs problematische Natur freilich un-
gleich stärker und länger als die Bronzefigur des Papstes. Ein wider-
liches Zerrbild des Kaisers, fast noch schlimmer als die Caesarenschil-
derungen Suetons, überliefern uns die gegnerischen Quellen1): Hein-
rich ein abscheuerregendes Gemisch von Wollust und Grausamkeit,
eine Art Ritter Blaubart oder gar verloren in widernatürliche Laster,
über solchen Gelüsten und Launen seine Herrscherpflichten ver-
nachlässigend, jedes Recht brechend, ein andrer Nebukadnezar!
So lebte sein Andenken Jahrhunderte lang fort, und als endlich die
protestantischen Historiker der Reformationszeit auch günstigere
Urteile der Zeitgenossen zu Worte kommen ließen und Heinrich

1) Vgl. Richter, Ann. III, 2, 521 ff.

§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065).
können, aber die beabsichtigte Romfahrt ward erstmals, wie wir
schon sahen, durch die Eifersucht Adalberts gegen Anno hinter-
trieben (1065). Dann, als man bei erneuter Bedrohung durch die
in Kampanien vordringenden Normannen Richards von Capua an
der Kurie selbst den Zug zeitweilig wünschte, war es Herzog Gottfried
von Lothringen, der, besorgt um seinen Einfluß in Italien, das
Unternehmen vereitelte (1066‒67). Alsbald stellte Hildebrand,
dem jede Einmischung der Reichsregierung unlieb war, das frühere
Verhältnis zu den Normannen her, und diese beschränkten sich
nun auf die Ausdehnung nach Süden, wo 1072 mit der Einnahme
von Palermo durch Herzog Robert und seinen Bruder Graf Roger
die Eroberung Siziliens entschieden wurde.

In demselben Jahre sank mit dem Tode des Cadalus der
letzte Rest des Schismas dahin. Es war das erste Mal, daß ein
von der kaiserlichen Regierung aufgestellter Papst nicht zum Sieg
gelangte. Von nun ab sollte das nie mehr geschehen. Das allein
zeigt die Wendung, die sich in dem Verhältnis von Kaisertum und
Papsttum vollzogen hatte. Für die deutsche Geschichte aber war
dies Jahrzehnt nach Heinrichs III. Tode, diese Kette von Unsicher-
heit, Zerfahrenheit und Fürsteneigennutz, eine der schmachvollsten
Episoden. Die Stellung des jungen Königs war dadurch von vorn-
herein unheilvoll geschwächt, als er nun selbständigen Anteil an
der Regierung zu nehmen begann.

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII.
(1065‒1075).

Heinrich IV. und Gregor VII. treten hinfort in den Mittelpunkt
der Ereignisse, beide von zeitgenössischen Gegnern und Nachwelt ver-
unglimpft und verkannt; Heinrichs problematische Natur freilich un-
gleich stärker und länger als die Bronzefigur des Papstes. Ein wider-
liches Zerrbild des Kaisers, fast noch schlimmer als die Caesarenschil-
derungen Suetons, überliefern uns die gegnerischen Quellen1): Hein-
rich ein abscheuerregendes Gemisch von Wollust und Grausamkeit,
eine Art Ritter Blaubart oder gar verloren in widernatürliche Laster,
über solchen Gelüsten und Launen seine Herrscherpflichten ver-
nachlässigend, jedes Recht brechend, ein andrer Nebukadnezar!
So lebte sein Andenken Jahrhunderte lang fort, und als endlich die
protestantischen Historiker der Reformationszeit auch günstigere
Urteile der Zeitgenossen zu Worte kommen ließen und Heinrich

1) Vgl. Richter, Ann. III, 2, 521 ff.
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[37/0045] § 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065). können, aber die beabsichtigte Romfahrt ward erstmals, wie wir schon sahen, durch die Eifersucht Adalberts gegen Anno hinter- trieben (1065). Dann, als man bei erneuter Bedrohung durch die in Kampanien vordringenden Normannen Richards von Capua an der Kurie selbst den Zug zeitweilig wünschte, war es Herzog Gottfried von Lothringen, der, besorgt um seinen Einfluß in Italien, das Unternehmen vereitelte (1066‒67). Alsbald stellte Hildebrand, dem jede Einmischung der Reichsregierung unlieb war, das frühere Verhältnis zu den Normannen her, und diese beschränkten sich nun auf die Ausdehnung nach Süden, wo 1072 mit der Einnahme von Palermo durch Herzog Robert und seinen Bruder Graf Roger die Eroberung Siziliens entschieden wurde. In demselben Jahre sank mit dem Tode des Cadalus der letzte Rest des Schismas dahin. Es war das erste Mal, daß ein von der kaiserlichen Regierung aufgestellter Papst nicht zum Sieg gelangte. Von nun ab sollte das nie mehr geschehen. Das allein zeigt die Wendung, die sich in dem Verhältnis von Kaisertum und Papsttum vollzogen hatte. Für die deutsche Geschichte aber war dies Jahrzehnt nach Heinrichs III. Tode, diese Kette von Unsicher- heit, Zerfahrenheit und Fürsteneigennutz, eine der schmachvollsten Episoden. Die Stellung des jungen Königs war dadurch von vorn- herein unheilvoll geschwächt, als er nun selbständigen Anteil an der Regierung zu nehmen begann. § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075). Heinrich IV. und Gregor VII. treten hinfort in den Mittelpunkt der Ereignisse, beide von zeitgenössischen Gegnern und Nachwelt ver- unglimpft und verkannt; Heinrichs problematische Natur freilich un- gleich stärker und länger als die Bronzefigur des Papstes. Ein wider- liches Zerrbild des Kaisers, fast noch schlimmer als die Caesarenschil- derungen Suetons, überliefern uns die gegnerischen Quellen 1): Hein- rich ein abscheuerregendes Gemisch von Wollust und Grausamkeit, eine Art Ritter Blaubart oder gar verloren in widernatürliche Laster, über solchen Gelüsten und Launen seine Herrscherpflichten ver- nachlässigend, jedes Recht brechend, ein andrer Nebukadnezar! So lebte sein Andenken Jahrhunderte lang fort, und als endlich die protestantischen Historiker der Reformationszeit auch günstigere Urteile der Zeitgenossen zu Worte kommen ließen und Heinrich 1) Vgl. Richter, Ann. III, 2, 521 ff.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/45>, abgerufen am 19.04.2024.