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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056-1065).
demokratischen Bewegung verbanden sich im Todesjahre Hein-
richs III. kirchliche Reformbestrebungen, die, von leidenschaftlichen
Agitatoren geleitet und die soziale Begehrlichkeit ausbeutend, sich
gegen die in dem verweltlichten lombardischen Klerus ganz be-
sonders verbreiteten Mißstände der Priesterehe und Simonie wandten.
Diese Mailänder Pataria1) verkörperte so zuerst jenen Gedanken
einer Massenrevolutionierung, dem Kardinal Humbert wenig später
in seiner Schrift Ausdruck gab. Aufreizende Reden, die das Meß-
opfer beweibter Priester als Hundemist, ihre Kirchen als Viehställe
bezeichneten, führten zu Störungen der Gottesdienste, Mißhandlungen
der Priester, endlich zu offenem Aufruhr. Beide Parteien wandten
sich nach Rom. Da war es wieder Hildebrand, der schon zur
Zeit Stefans IX. die Bedeutung der Pataria für das Papsttum er-
kannte und bald die engste Verbindung zwischen beiden herstellte.
Sie machte sich für die Kurie sofort belohnt, denn unter dem Drucke
dieses Bündnisses leistete der schwache Mailänder Erzbischof Wido
jetzt dem Papste einen Gehorsamseid und nahm aus seiner Hand das
Amt durch das Symbol des Ringes noch einmal in Empfang, da-
durch deutlich bekundend, daß seine frühere simonistische Einsetzung
durch den Kaiser für nichts gelten sollte. Auch hier stießen die
Ansprüche der vordringenden Reformpartei mit denen des Reiches
feindlich zusammen.

So verfügte das Papsttum über Bundesgenossen in allen Teilen
Italiens, als der Kampf nun doch unerwartet schnell zum Ausbruch
kam; denn die Verletzungen des kaiserlichen Rechtes betreffs der
Papstwahl, in Süditalien und der Lombardei waren selbst für die
damalige Schwäche der deutschen Regierung unerträglich. Schon
in den letzten Zeiten Nikolaus II. kam es zu einem Abbruch der
diplomatischen Beziehungen und dann auf einer deutschen Synode
zu einer scharfen Verurteilung des Papstes und seiner Neuerungen.
Sein Tod (1061) führte zum offenen Schisma. Aber Zielbewußt-
heit und Tatkraft waren nur bei den Reformern. Sofort setzte
Hildebrand mit normannischer Hilfe den entschlossensten Begünstiger
der Pataria, Bischof Anselm von Lucca, als Papst Alexander II.
(1061-73) auf den Stuhl Petri. Erst einen Monat später ließ
sich die Regierung von den italienischen Reformfeinden, dem
römischen Adel und den lombardischen Bischöfen, ins Schlepptau
nehmen und stimmte auf dem Tage von Basel halb wider Willen
der Erhebung des Bischofs Cadalus von Parma zum Gegenpapst
Honorius II. zu, ohne indes für seine Durchsetzung die mindeste

1) Der Name ist höchstwahrscheinlich abzuleiten von dem nach dem
Trödelmarkt genannten Mailänder Stadtquartier, das der Partei die Hauptzahl
der Anhänger stellte.
3*

§ 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065).
demokratischen Bewegung verbanden sich im Todesjahre Hein-
richs III. kirchliche Reformbestrebungen, die, von leidenschaftlichen
Agitatoren geleitet und die soziale Begehrlichkeit ausbeutend, sich
gegen die in dem verweltlichten lombardischen Klerus ganz be-
sonders verbreiteten Mißstände der Priesterehe und Simonie wandten.
Diese Mailänder Pataria1) verkörperte so zuerst jenen Gedanken
einer Massenrevolutionierung, dem Kardinal Humbert wenig später
in seiner Schrift Ausdruck gab. Aufreizende Reden, die das Meß-
opfer beweibter Priester als Hundemist, ihre Kirchen als Viehställe
bezeichneten, führten zu Störungen der Gottesdienste, Mißhandlungen
der Priester, endlich zu offenem Aufruhr. Beide Parteien wandten
sich nach Rom. Da war es wieder Hildebrand, der schon zur
Zeit Stefans IX. die Bedeutung der Pataria für das Papsttum er-
kannte und bald die engste Verbindung zwischen beiden herstellte.
Sie machte sich für die Kurie sofort belohnt, denn unter dem Drucke
dieses Bündnisses leistete der schwache Mailänder Erzbischof Wido
jetzt dem Papste einen Gehorsamseid und nahm aus seiner Hand das
Amt durch das Symbol des Ringes noch einmal in Empfang, da-
durch deutlich bekundend, daß seine frühere simonistische Einsetzung
durch den Kaiser für nichts gelten sollte. Auch hier stießen die
Ansprüche der vordringenden Reformpartei mit denen des Reiches
feindlich zusammen.

So verfügte das Papsttum über Bundesgenossen in allen Teilen
Italiens, als der Kampf nun doch unerwartet schnell zum Ausbruch
kam; denn die Verletzungen des kaiserlichen Rechtes betreffs der
Papstwahl, in Süditalien und der Lombardei waren selbst für die
damalige Schwäche der deutschen Regierung unerträglich. Schon
in den letzten Zeiten Nikolaus II. kam es zu einem Abbruch der
diplomatischen Beziehungen und dann auf einer deutschen Synode
zu einer scharfen Verurteilung des Papstes und seiner Neuerungen.
Sein Tod (1061) führte zum offenen Schisma. Aber Zielbewußt-
heit und Tatkraft waren nur bei den Reformern. Sofort setzte
Hildebrand mit normannischer Hilfe den entschlossensten Begünstiger
der Pataria, Bischof Anselm von Lucca, als Papst Alexander II.
(1061‒73) auf den Stuhl Petri. Erst einen Monat später ließ
sich die Regierung von den italienischen Reformfeinden, dem
römischen Adel und den lombardischen Bischöfen, ins Schlepptau
nehmen und stimmte auf dem Tage von Basel halb wider Willen
der Erhebung des Bischofs Cadalus von Parma zum Gegenpapst
Honorius II. zu, ohne indes für seine Durchsetzung die mindeste

1) Der Name ist höchstwahrscheinlich abzuleiten von dem nach dem
Trödelmarkt genannten Mailänder Stadtquartier, das der Partei die Hauptzahl
der Anhänger stellte.
3*
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[35/0043] § 3. Das Reich während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. (1056‒1065). demokratischen Bewegung verbanden sich im Todesjahre Hein- richs III. kirchliche Reformbestrebungen, die, von leidenschaftlichen Agitatoren geleitet und die soziale Begehrlichkeit ausbeutend, sich gegen die in dem verweltlichten lombardischen Klerus ganz be- sonders verbreiteten Mißstände der Priesterehe und Simonie wandten. Diese Mailänder Pataria 1) verkörperte so zuerst jenen Gedanken einer Massenrevolutionierung, dem Kardinal Humbert wenig später in seiner Schrift Ausdruck gab. Aufreizende Reden, die das Meß- opfer beweibter Priester als Hundemist, ihre Kirchen als Viehställe bezeichneten, führten zu Störungen der Gottesdienste, Mißhandlungen der Priester, endlich zu offenem Aufruhr. Beide Parteien wandten sich nach Rom. Da war es wieder Hildebrand, der schon zur Zeit Stefans IX. die Bedeutung der Pataria für das Papsttum er- kannte und bald die engste Verbindung zwischen beiden herstellte. Sie machte sich für die Kurie sofort belohnt, denn unter dem Drucke dieses Bündnisses leistete der schwache Mailänder Erzbischof Wido jetzt dem Papste einen Gehorsamseid und nahm aus seiner Hand das Amt durch das Symbol des Ringes noch einmal in Empfang, da- durch deutlich bekundend, daß seine frühere simonistische Einsetzung durch den Kaiser für nichts gelten sollte. Auch hier stießen die Ansprüche der vordringenden Reformpartei mit denen des Reiches feindlich zusammen. So verfügte das Papsttum über Bundesgenossen in allen Teilen Italiens, als der Kampf nun doch unerwartet schnell zum Ausbruch kam; denn die Verletzungen des kaiserlichen Rechtes betreffs der Papstwahl, in Süditalien und der Lombardei waren selbst für die damalige Schwäche der deutschen Regierung unerträglich. Schon in den letzten Zeiten Nikolaus II. kam es zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und dann auf einer deutschen Synode zu einer scharfen Verurteilung des Papstes und seiner Neuerungen. Sein Tod (1061) führte zum offenen Schisma. Aber Zielbewußt- heit und Tatkraft waren nur bei den Reformern. Sofort setzte Hildebrand mit normannischer Hilfe den entschlossensten Begünstiger der Pataria, Bischof Anselm von Lucca, als Papst Alexander II. (1061‒73) auf den Stuhl Petri. Erst einen Monat später ließ sich die Regierung von den italienischen Reformfeinden, dem römischen Adel und den lombardischen Bischöfen, ins Schlepptau nehmen und stimmte auf dem Tage von Basel halb wider Willen der Erhebung des Bischofs Cadalus von Parma zum Gegenpapst Honorius II. zu, ohne indes für seine Durchsetzung die mindeste 1) Der Name ist höchstwahrscheinlich abzuleiten von dem nach dem Trödelmarkt genannten Mailänder Stadtquartier, das der Partei die Hauptzahl der Anhänger stellte. 3*

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/43>, abgerufen am 29.03.2024.