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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
feingebildet, mit Liebe zu den Büchern und Verständnis für Musik
und Architektur erfüllt, war er früh und völlig in den Bannkreis
der kirchlichen Kultur und christlichen Sittenlehre getreten. Seine
ernste und schwere Natur handelte nicht aus glücklichem Gefühl,
sondern stets aus streng gemessenem Pflichtbewußtsein. Die Er-
habenheit seiner priestergleichen Würde hob ihn zugleich und
lastete auf ihm. Er spannte all' seine Kräfte an und tat sich
doch kaum je genug. Und wie er selbst nur den Antrieben seines
Pflichtbewußtseins folgte, so setzte er nach der Weise der Idealisten
das Gleiche bei allen Menschen voraus und vertraute weniger auf
den Zwang der Macht und die Lockungen des Eigennutzes, als auf
den sittlichen Aufschwung.

Wie kennzeichnend sind dafür die Friedensbestrebungen seiner
ersten Jahre! In Westeuropa war es die Kirche, die dem über-
handnehmenden Fehdewesen Einhalt zu gebieten suchte. Der von
ihr verkündete Gottesfrieden, der sich von Aquitanien (1040) über
Burgund und Frankreich ausbreitete, setzte außer den hohen Fest-
zeiten für die Passionstage jeder Woche von Mittwoch Abend bis
Montag früh kriegerische Gewalttätigkeiten unter kirchliche Strafen.1)
Heinrich ergriff diese Aufgabe der Friedenswahrung ganz persön-
lich und mit voller Inbrunst, aber die Halbheit genügte ihm nicht.
Er wollte das Ideal auf die Erde herabzwingen. Gelang es, die
Massen zu seiner eigenen hohen Auffassung fortzureißen, so gab
es keine Friedenstörung mehr. Deshalb ging er selbst mit dem
Beispiel voran. Wenn er während der Konstanzer Synode von
1043 von der Kanzel aus ergreifende Friedensmahnungen an die
Menge richtete, so vergab er zuerst allen seinen Schuldnern. Bei
der großen Dank- und Bußhandlung nach dem Ungarnsiege von
1044 warf er sich als erster barfuß und im härenen Büßerkleide
vor dem mitgeführten Splitter des heiligen Kreuzes auf die Knie,
und wieder folgte eine allgemeine Vergebung. Solche Handlungen
blieben nicht vereinzelt; sie machten im Augenblick starken Ein-
druck und regten nur Nacheiferung an. Doch wie wenig dauern-
der Verlaß war auf solche flutenden und ebbenden Gefühlswallungen
der Menge! In Heinrichs späteren Jahren tobten die Fehden wieder
zahlreich in Deutschland.

Diese achtungswerten, jedoch ihr Ziel verfehlenden Friedens-
bestrebungen sind nun aber charakteristisch für die Persönlichkeit
und Politik des Königs überhaupt. Wie er noch kurz vor seinem
Ende bei einem rein politischen Zwist mit dem Könige von Frank-
reich im Zweikampf sein Leben für das Reich in die Schanze

1) Vgl. Kluckhohn, Gesch. des Gottesfriedens 1857.

I. Die Zeit der Salier.
feingebildet, mit Liebe zu den Büchern und Verständnis für Musik
und Architektur erfüllt, war er früh und völlig in den Bannkreis
der kirchlichen Kultur und christlichen Sittenlehre getreten. Seine
ernste und schwere Natur handelte nicht aus glücklichem Gefühl,
sondern stets aus streng gemessenem Pflichtbewußtsein. Die Er-
habenheit seiner priestergleichen Würde hob ihn zugleich und
lastete auf ihm. Er spannte all' seine Kräfte an und tat sich
doch kaum je genug. Und wie er selbst nur den Antrieben seines
Pflichtbewußtseins folgte, so setzte er nach der Weise der Idealisten
das Gleiche bei allen Menschen voraus und vertraute weniger auf
den Zwang der Macht und die Lockungen des Eigennutzes, als auf
den sittlichen Aufschwung.

Wie kennzeichnend sind dafür die Friedensbestrebungen seiner
ersten Jahre! In Westeuropa war es die Kirche, die dem über-
handnehmenden Fehdewesen Einhalt zu gebieten suchte. Der von
ihr verkündete Gottesfrieden, der sich von Aquitanien (1040) über
Burgund und Frankreich ausbreitete, setzte außer den hohen Fest-
zeiten für die Passionstage jeder Woche von Mittwoch Abend bis
Montag früh kriegerische Gewalttätigkeiten unter kirchliche Strafen.1)
Heinrich ergriff diese Aufgabe der Friedenswahrung ganz persön-
lich und mit voller Inbrunst, aber die Halbheit genügte ihm nicht.
Er wollte das Ideal auf die Erde herabzwingen. Gelang es, die
Massen zu seiner eigenen hohen Auffassung fortzureißen, so gab
es keine Friedenstörung mehr. Deshalb ging er selbst mit dem
Beispiel voran. Wenn er während der Konstanzer Synode von
1043 von der Kanzel aus ergreifende Friedensmahnungen an die
Menge richtete, so vergab er zuerst allen seinen Schuldnern. Bei
der großen Dank- und Bußhandlung nach dem Ungarnsiege von
1044 warf er sich als erster barfuß und im härenen Büßerkleide
vor dem mitgeführten Splitter des heiligen Kreuzes auf die Knie,
und wieder folgte eine allgemeine Vergebung. Solche Handlungen
blieben nicht vereinzelt; sie machten im Augenblick starken Ein-
druck und regten nur Nacheiferung an. Doch wie wenig dauern-
der Verlaß war auf solche flutenden und ebbenden Gefühlswallungen
der Menge! In Heinrichs späteren Jahren tobten die Fehden wieder
zahlreich in Deutschland.

Diese achtungswerten, jedoch ihr Ziel verfehlenden Friedens-
bestrebungen sind nun aber charakteristisch für die Persönlichkeit
und Politik des Königs überhaupt. Wie er noch kurz vor seinem
Ende bei einem rein politischen Zwist mit dem Könige von Frank-
reich im Zweikampf sein Leben für das Reich in die Schanze

1) Vgl. Kluckhohn, Gesch. des Gottesfriedens 1857.
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[18/0026] I. Die Zeit der Salier. feingebildet, mit Liebe zu den Büchern und Verständnis für Musik und Architektur erfüllt, war er früh und völlig in den Bannkreis der kirchlichen Kultur und christlichen Sittenlehre getreten. Seine ernste und schwere Natur handelte nicht aus glücklichem Gefühl, sondern stets aus streng gemessenem Pflichtbewußtsein. Die Er- habenheit seiner priestergleichen Würde hob ihn zugleich und lastete auf ihm. Er spannte all' seine Kräfte an und tat sich doch kaum je genug. Und wie er selbst nur den Antrieben seines Pflichtbewußtseins folgte, so setzte er nach der Weise der Idealisten das Gleiche bei allen Menschen voraus und vertraute weniger auf den Zwang der Macht und die Lockungen des Eigennutzes, als auf den sittlichen Aufschwung. Wie kennzeichnend sind dafür die Friedensbestrebungen seiner ersten Jahre! In Westeuropa war es die Kirche, die dem über- handnehmenden Fehdewesen Einhalt zu gebieten suchte. Der von ihr verkündete Gottesfrieden, der sich von Aquitanien (1040) über Burgund und Frankreich ausbreitete, setzte außer den hohen Fest- zeiten für die Passionstage jeder Woche von Mittwoch Abend bis Montag früh kriegerische Gewalttätigkeiten unter kirchliche Strafen. 1) Heinrich ergriff diese Aufgabe der Friedenswahrung ganz persön- lich und mit voller Inbrunst, aber die Halbheit genügte ihm nicht. Er wollte das Ideal auf die Erde herabzwingen. Gelang es, die Massen zu seiner eigenen hohen Auffassung fortzureißen, so gab es keine Friedenstörung mehr. Deshalb ging er selbst mit dem Beispiel voran. Wenn er während der Konstanzer Synode von 1043 von der Kanzel aus ergreifende Friedensmahnungen an die Menge richtete, so vergab er zuerst allen seinen Schuldnern. Bei der großen Dank- und Bußhandlung nach dem Ungarnsiege von 1044 warf er sich als erster barfuß und im härenen Büßerkleide vor dem mitgeführten Splitter des heiligen Kreuzes auf die Knie, und wieder folgte eine allgemeine Vergebung. Solche Handlungen blieben nicht vereinzelt; sie machten im Augenblick starken Ein- druck und regten nur Nacheiferung an. Doch wie wenig dauern- der Verlaß war auf solche flutenden und ebbenden Gefühlswallungen der Menge! In Heinrichs späteren Jahren tobten die Fehden wieder zahlreich in Deutschland. Diese achtungswerten, jedoch ihr Ziel verfehlenden Friedens- bestrebungen sind nun aber charakteristisch für die Persönlichkeit und Politik des Königs überhaupt. Wie er noch kurz vor seinem Ende bei einem rein politischen Zwist mit dem Könige von Frank- reich im Zweikampf sein Leben für das Reich in die Schanze 1) Vgl. Kluckhohn, Gesch. des Gottesfriedens 1857.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/26>, abgerufen am 19.04.2024.