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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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aber dem aufrichtigen Klienten und Kandi-
daten scheint vergeben zu haben, weil sie auf
ihn selbst am schwersten zurück fiel. Das
Loos der Unwissenheit und die Blöße dersel-
ben macht eben so unversöhnliche Feinde als
die Ueberlegenheit an Verdiensten und die
Schau davon. War Sokrates wirklich un-
wissend, so muste ihm auch die Schande un-
wissend seyn, die vernünftige Leute sich er-
grübeln, unwissend zu scheinen.

Ein Mensch, der nichts weiß und der nichts
hat, sind Zwillinge eines Schicksals. Der
Fürwitzige und Argwöhnische zeichnen und
foltern den ersten als einen Betrüger; wie der
Gläubiger und Räuber dem letzten, unter-
dessen der Bauerstolz des reichen Mann und
Polyhistors beyde verachtet. Eben daher
bleibt die philosophische Göttin des Glücks
eine bewährte Freundinn des Dummen, und
durch ihre Vorsorge entgehen die Einfälle des

Ar-

aber dem aufrichtigen Klienten und Kandi-
daten ſcheint vergeben zu haben, weil ſie auf
ihn ſelbſt am ſchwerſten zuruͤck fiel. Das
Loos der Unwiſſenheit und die Bloͤße derſel-
ben macht eben ſo unverſoͤhnliche Feinde als
die Ueberlegenheit an Verdienſten und die
Schau davon. War Sokrates wirklich un-
wiſſend, ſo muſte ihm auch die Schande un-
wiſſend ſeyn, die vernuͤnftige Leute ſich er-
gruͤbeln, unwiſſend zu ſcheinen.

Ein Menſch, der nichts weiß und der nichts
hat, ſind Zwillinge eines Schickſals. Der
Fuͤrwitzige und Argwoͤhniſche zeichnen und
foltern den erſten als einen Betruͤger; wie der
Glaͤubiger und Raͤuber dem letzten, unter-
deſſen der Bauerſtolz des reichen Mann und
Polyhiſtors beyde verachtet. Eben daher
bleibt die philoſophiſche Goͤttin des Gluͤcks
eine bewaͤhrte Freundinn des Dummen, und
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[40/0044] aber dem aufrichtigen Klienten und Kandi- daten ſcheint vergeben zu haben, weil ſie auf ihn ſelbſt am ſchwerſten zuruͤck fiel. Das Loos der Unwiſſenheit und die Bloͤße derſel- ben macht eben ſo unverſoͤhnliche Feinde als die Ueberlegenheit an Verdienſten und die Schau davon. War Sokrates wirklich un- wiſſend, ſo muſte ihm auch die Schande un- wiſſend ſeyn, die vernuͤnftige Leute ſich er- gruͤbeln, unwiſſend zu ſcheinen. Ein Menſch, der nichts weiß und der nichts hat, ſind Zwillinge eines Schickſals. Der Fuͤrwitzige und Argwoͤhniſche zeichnen und foltern den erſten als einen Betruͤger; wie der Glaͤubiger und Raͤuber dem letzten, unter- deſſen der Bauerſtolz des reichen Mann und Polyhiſtors beyde verachtet. Eben daher bleibt die philoſophiſche Goͤttin des Gluͤcks eine bewaͤhrte Freundinn des Dummen, und durch ihre Vorſorge entgehen die Einfaͤlle des Ar-

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/44>, abgerufen am 24.04.2024.