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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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Seite ahmte also Sokrates seinen Vater nach,
einen Bildhauer, der, indem er wegnimmt
und hauet, was am Holze nicht seyn soll,
eben dadurch die Form des Bildes för-
dert.
*) Daher hatten die grossen Männer
seiner Zeit zureichenden Grund über ihn zu
schreyen, daß er alle Eichen ihrer Wälder
fälle, alle ihre Klötzer verderbe, und aus
ihrem Holze nichts als Späne zu machen
verstünde.

Sokrates wurde vermuthlich ein Bild-
hauer, weil sein Vater einer war. Daß er
in dieser Kunst nicht mittelmässig geblieben,
hat man daraus geschlossen, weil zu Athen
seine drey Bildsäulen der Gratien aufgeho-
ben worden. Man war ehmals gewohnt

gewe-
*) Worte unsers Kirchenvaters, Martin Luthers,
bey dessen Namen ein richtig und fein denken-
der Schwärmer jüngst uns erinnert hat, daß
wir von diesem grossen Mann nicht nur in der
deutschen Sprache, sondern überhaupt nicht
so viel gelernt als wir hätten sollen und können.

Seite ahmte alſo Sokrates ſeinen Vater nach,
einen Bildhauer, der, indem er wegnimmt
und hauet, was am Holze nicht ſeyn ſoll,
eben dadurch die Form des Bildes foͤr-
dert.
*) Daher hatten die groſſen Maͤnner
ſeiner Zeit zureichenden Grund uͤber ihn zu
ſchreyen, daß er alle Eichen ihrer Waͤlder
faͤlle, alle ihre Kloͤtzer verderbe, und aus
ihrem Holze nichts als Spaͤne zu machen
verſtuͤnde.

Sokrates wurde vermuthlich ein Bild-
hauer, weil ſein Vater einer war. Daß er
in dieſer Kunſt nicht mittelmaͤſſig geblieben,
hat man daraus geſchloſſen, weil zu Athen
ſeine drey Bildſaͤulen der Gratien aufgeho-
ben worden. Man war ehmals gewohnt

gewe-
*) Worte unſers Kirchenvaters, Martin Luthers,
bey deſſen Namen ein richtig und fein denken-
der Schwaͤrmer juͤngſt uns erinnert hat, daß
wir von dieſem groſſen Mann nicht nur in der
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[30/0034] Seite ahmte alſo Sokrates ſeinen Vater nach, einen Bildhauer, der, indem er wegnimmt und hauet, was am Holze nicht ſeyn ſoll, eben dadurch die Form des Bildes foͤr- dert. *) Daher hatten die groſſen Maͤnner ſeiner Zeit zureichenden Grund uͤber ihn zu ſchreyen, daß er alle Eichen ihrer Waͤlder faͤlle, alle ihre Kloͤtzer verderbe, und aus ihrem Holze nichts als Spaͤne zu machen verſtuͤnde. Sokrates wurde vermuthlich ein Bild- hauer, weil ſein Vater einer war. Daß er in dieſer Kunſt nicht mittelmaͤſſig geblieben, hat man daraus geſchloſſen, weil zu Athen ſeine drey Bildſaͤulen der Gratien aufgeho- ben worden. Man war ehmals gewohnt gewe- *) Worte unſers Kirchenvaters, Martin Luthers, bey deſſen Namen ein richtig und fein denken- der Schwaͤrmer juͤngſt uns erinnert hat, daß wir von dieſem groſſen Mann nicht nur in der deutſchen Sprache, ſondern uͤberhaupt nicht ſo viel gelernt als wir haͤtten ſollen und koͤnnen.

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/34>, abgerufen am 28.03.2024.