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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Thierische Bewegung. XI. Buch.

Doch es haben es auch beredte Schriftsteller nicht ein-
mal bei diesen Versuchen bewenden lassen wollen. Sie wol-
len nämlich, daß die Seele diese zerstükkte Thiertheile noch
bewohnen soll, und behaupten nach ihren Lehrsäzzen, daß
die Seele gleichsam in jede Theile des abgerissenen Ge-
därmes, Pflanzvölker absenden soll, um selbige zu regie-
ren, und in Bewegung zu bringen (q). Wir haben aber
auf diese Einwendungen bei andrer Gelegenheit geantwor-
tet, und sehen, daß wir berümten Männern oder Jour-
nalisten ein Gnügen geleistet haben.

Jndessen ist doch auch in diesen Versuchen die Zusam-
menziehungskraft des Lebens, von eben dieser todten Kraft,
gar sehr unterschieden. Jene dauret nämlich nur wenige
Stunden, oder Tage nach dem Tode fort, und sie findet
sich nicht an getrokkneten thierischen Theilen; sie ist an
keinem Muskel mehr zu finden, welcher kalt und steif ge-
worden. Hingegen wird die Zusammenziehungskraft nach
dem Tode noch grösser, wenn man die Saite getrokknet
hat. Sie ist stärker, und es ziehet sich eine gesponnene
musikalische Saite mit grösserer Kraft zurükke, als sich
der Darm der Kazze zu verkürzen pflegte, woraus der
Künstler diese Saite gedreht hat.

§. 8.
Die Verkürzungskraft unterscheidet sich nach den
Stellen, wo man sie antrift.

Doch es sind auch alle beide Kräfte, der Gegend nach,
sehr von einander verschieden. So ist die todte Zusam-
menziehungskraft einer jeden thierischen Faser wesentlich;
hingegen eben diese lebendige Kraft nur dem Muskel
eigen. Dieses mus ich hier mit Sorgfalt entwikkeln, weil
viele berümte Männer (r), sowohl vor Zeiten, als in

unsern
(q) [Spaltenumbruch] L. IV. pag. 467. premier
mem. pag. 51. Respons. a M.
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(r) [Spaltenumbruch] GLISSON. c. 7. BIRCH.
T. IV. 537. GOURAIGNE

de
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.

Doch es haben es auch beredte Schriftſteller nicht ein-
mal bei dieſen Verſuchen bewenden laſſen wollen. Sie wol-
len naͤmlich, daß die Seele dieſe zerſtuͤkkte Thiertheile noch
bewohnen ſoll, und behaupten nach ihren Lehrſaͤzzen, daß
die Seele gleichſam in jede Theile des abgeriſſenen Ge-
daͤrmes, Pflanzvoͤlker abſenden ſoll, um ſelbige zu regie-
ren, und in Bewegung zu bringen (q). Wir haben aber
auf dieſe Einwendungen bei andrer Gelegenheit geantwor-
tet, und ſehen, daß wir beruͤmten Maͤnnern oder Jour-
naliſten ein Gnuͤgen geleiſtet haben.

Jndeſſen iſt doch auch in dieſen Verſuchen die Zuſam-
menziehungskraft des Lebens, von eben dieſer todten Kraft,
gar ſehr unterſchieden. Jene dauret naͤmlich nur wenige
Stunden, oder Tage nach dem Tode fort, und ſie findet
ſich nicht an getrokkneten thieriſchen Theilen; ſie iſt an
keinem Muſkel mehr zu finden, welcher kalt und ſteif ge-
worden. Hingegen wird die Zuſammenziehungskraft nach
dem Tode noch groͤſſer, wenn man die Saite getrokknet
hat. Sie iſt ſtaͤrker, und es ziehet ſich eine geſponnene
muſikaliſche Saite mit groͤſſerer Kraft zuruͤkke, als ſich
der Darm der Kazze zu verkuͤrzen pflegte, woraus der
Kuͤnſtler dieſe Saite gedreht hat.

§. 8.
Die Verkuͤrzungskraft unterſcheidet ſich nach den
Stellen, wo man ſie antrift.

Doch es ſind auch alle beide Kraͤfte, der Gegend nach,
ſehr von einander verſchieden. So iſt die todte Zuſam-
menziehungskraft einer jeden thieriſchen Faſer weſentlich;
hingegen eben dieſe lebendige Kraft nur dem Muſkel
eigen. Dieſes mus ich hier mit Sorgfalt entwikkeln, weil
viele beruͤmte Maͤnner (r), ſowohl vor Zeiten, als in

unſern
(q) [Spaltenumbruch] L. IV. pag. 467. premier
mem. pag. 51. Reſponſ. a M.
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(r) [Spaltenumbruch] GLISSON. c. 7. BIRCH.
T. IV. 537. GOURAIGNE

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[22/0040] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. Doch es haben es auch beredte Schriftſteller nicht ein- mal bei dieſen Verſuchen bewenden laſſen wollen. Sie wol- len naͤmlich, daß die Seele dieſe zerſtuͤkkte Thiertheile noch bewohnen ſoll, und behaupten nach ihren Lehrſaͤzzen, daß die Seele gleichſam in jede Theile des abgeriſſenen Ge- daͤrmes, Pflanzvoͤlker abſenden ſoll, um ſelbige zu regie- ren, und in Bewegung zu bringen (q). Wir haben aber auf dieſe Einwendungen bei andrer Gelegenheit geantwor- tet, und ſehen, daß wir beruͤmten Maͤnnern oder Jour- naliſten ein Gnuͤgen geleiſtet haben. Jndeſſen iſt doch auch in dieſen Verſuchen die Zuſam- menziehungskraft des Lebens, von eben dieſer todten Kraft, gar ſehr unterſchieden. Jene dauret naͤmlich nur wenige Stunden, oder Tage nach dem Tode fort, und ſie findet ſich nicht an getrokkneten thieriſchen Theilen; ſie iſt an keinem Muſkel mehr zu finden, welcher kalt und ſteif ge- worden. Hingegen wird die Zuſammenziehungskraft nach dem Tode noch groͤſſer, wenn man die Saite getrokknet hat. Sie iſt ſtaͤrker, und es ziehet ſich eine geſponnene muſikaliſche Saite mit groͤſſerer Kraft zuruͤkke, als ſich der Darm der Kazze zu verkuͤrzen pflegte, woraus der Kuͤnſtler dieſe Saite gedreht hat. §. 8. Die Verkuͤrzungskraft unterſcheidet ſich nach den Stellen, wo man ſie antrift. Doch es ſind auch alle beide Kraͤfte, der Gegend nach, ſehr von einander verſchieden. So iſt die todte Zuſam- menziehungskraft einer jeden thieriſchen Faſer weſentlich; hingegen eben dieſe lebendige Kraft nur dem Muſkel eigen. Dieſes mus ich hier mit Sorgfalt entwikkeln, weil viele beruͤmte Maͤnner (r), ſowohl vor Zeiten, als in unſern (q) L. IV. pag. 467. premier mem. pag. 51. Reſponſ. a M. WHYTT p. 121. (r) GLISSON. c. 7. BIRCH. T. IV. 537. GOURAIGNE de

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/40>, abgerufen am 28.03.2024.