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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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IV. Placenta des Menschen und Affen.

Noch vor zehn Jahren glaubten die meisten Embryologen,
daß sich der Mensch durch gewisse Eigenthümlichkeiten in der
Bildung seiner Placenta auszeichne, namentlich durch den Besitz
der sogenannten Decidua reflexa, sowie durch die besondere
Bildung des Nabelstranges, welcher diese mit dem Keime ver-
bindet; diese eigenthümlichen Embryonal-Organe sollten den
übrigen Zottenthieren, und insbesondere den Affen fehlen. Der
wichtige Nabelstrang oder die Nabelschnur (Funiculus um-
bilicalis)
ist ein cylindrischer, weicher Strang von 40-60 cm
Länge und von der Dicke des kleinen Fingers (11-13 mm).
Er stellt die Verbindung zwischen dem Embryo und dem Mutter-
kuchen her, indem er die ernährenden Blutgefäße aus dem
Körper des Keimes in den Fruchtkuchen leitet; außerdem ent-
hält er auch den Stiel der Allantois und des Dottersackes.
Während nun der Dottersack bei menschlichen Früchten aus der
dritten Woche der Schwangerschaft noch die größere Hälfte der
Keimblase darstellt, wird er später bald rückgebildet, so daß
man ihn früher bei reifen Früchten ganz vermißte; doch ist er
als Rudiment noch immer vorhanden und auch nach der Geburt
noch als winziges Nabelbläschen (Vesicula umbilicalis)
nachzuweisen. Auch die blasenförmige Anlage der Allantois
selbst wird beim Menschen frühzeitig rückgebildet, was mit
einer etwas abweichenden Bildung des Amnion zusammenhängt,
der Entstehung des sogenannten "Bauchstiels". Auf die
complicirten anatomischen und embryologischen Verhältnisse dieser
Bildungen, die ich in meiner Anthropogenie (im 23. Vor-
trage) geschildert und illustrirt habe, können wir hier nicht eingehen.

Die Gegner der Entwicklungslehre wiesen noch vor zehn
Jahren auf diese "ganz besonderen Eigenthümlichkeiten" der
Fruchtbildung beim Menschen hin, durch die er sich von
allen anderen Säugethieren unterscheiden sollte. Da wies 1890
Emil Selenka nach, daß dieselben Eigenthümlichkeiten sich auch

IV. Placenta des Menſchen und Affen.

Noch vor zehn Jahren glaubten die meiſten Embryologen,
daß ſich der Menſch durch gewiſſe Eigenthümlichkeiten in der
Bildung ſeiner Placenta auszeichne, namentlich durch den Beſitz
der ſogenannten Decidua reflexa, ſowie durch die beſondere
Bildung des Nabelſtranges, welcher dieſe mit dem Keime ver-
bindet; dieſe eigenthümlichen Embryonal-Organe ſollten den
übrigen Zottenthieren, und insbeſondere den Affen fehlen. Der
wichtige Nabelſtrang oder die Nabelſchnur (Funiculuſ um-
bilicaliſ)
iſt ein cylindriſcher, weicher Strang von 40-60 cm
Länge und von der Dicke des kleinen Fingers (11-13 mm).
Er ſtellt die Verbindung zwiſchen dem Embryo und dem Mutter-
kuchen her, indem er die ernährenden Blutgefäße aus dem
Körper des Keimes in den Fruchtkuchen leitet; außerdem ent-
hält er auch den Stiel der Allantois und des Dotterſackes.
Während nun der Dotterſack bei menſchlichen Früchten aus der
dritten Woche der Schwangerſchaft noch die größere Hälfte der
Keimblaſe darſtellt, wird er ſpäter bald rückgebildet, ſo daß
man ihn früher bei reifen Früchten ganz vermißte; doch iſt er
als Rudiment noch immer vorhanden und auch nach der Geburt
noch als winziges Nabelbläschen (Veſicula umbilicaliſ)
nachzuweiſen. Auch die blaſenförmige Anlage der Allantois
ſelbſt wird beim Menſchen frühzeitig rückgebildet, was mit
einer etwas abweichenden Bildung des Amnion zuſammenhängt,
der Entſtehung des ſogenannten „Bauchſtiels“. Auf die
complicirten anatomiſchen und embryologiſchen Verhältniſſe dieſer
Bildungen, die ich in meiner Anthropogenie (im 23. Vor-
trage) geſchildert und illuſtrirt habe, können wir hier nicht eingehen.

Die Gegner der Entwicklungslehre wieſen noch vor zehn
Jahren auf dieſe „ganz beſonderen Eigenthümlichkeiten“ der
Fruchtbildung beim Menſchen hin, durch die er ſich von
allen anderen Säugethieren unterſcheiden ſollte. Da wies 1890
Emil Selenka nach, daß dieſelben Eigenthümlichkeiten ſich auch

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[79/0095] IV. Placenta des Menſchen und Affen. Noch vor zehn Jahren glaubten die meiſten Embryologen, daß ſich der Menſch durch gewiſſe Eigenthümlichkeiten in der Bildung ſeiner Placenta auszeichne, namentlich durch den Beſitz der ſogenannten Decidua reflexa, ſowie durch die beſondere Bildung des Nabelſtranges, welcher dieſe mit dem Keime ver- bindet; dieſe eigenthümlichen Embryonal-Organe ſollten den übrigen Zottenthieren, und insbeſondere den Affen fehlen. Der wichtige Nabelſtrang oder die Nabelſchnur (Funiculuſ um- bilicaliſ) iſt ein cylindriſcher, weicher Strang von 40-60 cm Länge und von der Dicke des kleinen Fingers (11-13 mm). Er ſtellt die Verbindung zwiſchen dem Embryo und dem Mutter- kuchen her, indem er die ernährenden Blutgefäße aus dem Körper des Keimes in den Fruchtkuchen leitet; außerdem ent- hält er auch den Stiel der Allantois und des Dotterſackes. Während nun der Dotterſack bei menſchlichen Früchten aus der dritten Woche der Schwangerſchaft noch die größere Hälfte der Keimblaſe darſtellt, wird er ſpäter bald rückgebildet, ſo daß man ihn früher bei reifen Früchten ganz vermißte; doch iſt er als Rudiment noch immer vorhanden und auch nach der Geburt noch als winziges Nabelbläschen (Veſicula umbilicaliſ) nachzuweiſen. Auch die blaſenförmige Anlage der Allantois ſelbſt wird beim Menſchen frühzeitig rückgebildet, was mit einer etwas abweichenden Bildung des Amnion zuſammenhängt, der Entſtehung des ſogenannten „Bauchſtiels“. Auf die complicirten anatomiſchen und embryologiſchen Verhältniſſe dieſer Bildungen, die ich in meiner Anthropogenie (im 23. Vor- trage) geſchildert und illuſtrirt habe, können wir hier nicht eingehen. Die Gegner der Entwicklungslehre wieſen noch vor zehn Jahren auf dieſe „ganz beſonderen Eigenthümlichkeiten“ der Fruchtbildung beim Menſchen hin, durch die er ſich von allen anderen Säugethieren unterſcheiden ſollte. Da wies 1890 Emil Selenka nach, daß dieſelben Eigenthümlichkeiten ſich auch

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/95>, abgerufen am 24.04.2024.