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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Keimbildung des Menschen. IV.
sind, so kann diese Thatsache eben nur durch gemeinsame Ab-
stammung erklärt werden. Und diese Erklärung erscheint um
so sicherer, wenn wir die später eintretende Sonderung oder
Divergenz jener Keimformen verfolgen. Je näher sich zwei
Thierformen in der gesammten Körperbildung und also auch im
natürlichen System stehen, desto länger bleiben sich auch ihre
Embryonen ähnlich, und desto enger hängen sie auch im Stamm-
baum der betreffenden Gruppe zusammen, desto näher sind sie
"stammverwandt". Daher erscheinen die Embryonen des Menschen
und der Menschenaffen auch später noch höchst ähnlich, auf einer
hoch entwickelten Bildungsstufe, auf welcher ihre Unterschiede von
den Embryonen anderer Säugethiere sofort erkennbar sind. Ich
habe diese bedeutungsvolle Thatsache sowohl in der natürlichen
Schöpfungsgeschichte (1898, Taf. 2 und 3) als in der Anthro-
pogenie (1891, Taf. 6-9) durch Zusammenstellung entsprechender
Bildungsstufen von einer Anzahl verschiedener Wirbelthiere
illustrirt.

Die Keimhüllen des Menschen. Die hohe phylogenetische
Bedeutung der eben besprochenen Aehnlichkeit tritt nicht nur bei
Vergleichung der Vertebraten-Embryonen selbst hervor, sondern
auch bei derjenigen ihrer Keimhüllen. Es zeichnen sich nämlich
alle Wirbelthiere der drei höheren Klassen, Reptilien, Vögel und
Säugethiere, vor den niederen Classen durch die Bildung eigen-
thümlicher Embryonal-Hüllen aus, des Amnion (Wasserhaut)
und des Serolemma (Seröse Haut). In diesen mit Wasser ge-
füllten Säcken liegt der Embryo eingeschlossen und ist dadurch
gegen Druck und Stoß geschützt. Diese zweckmäßige Schutz-
einrichtung ist wahrscheinlich erst während der permischen Periode
entstanden, als die ältesten Reptilien (Proreptilien), die gemein-
samen Stammformen der Amnionthiere oder Amnioten,
vollständig an das Landleben sich anpaßten. Bei ihren direkten
Vorfahren, den Amphibien, fehlt diese Hüllenbildung noch ebenso

Keimbildung des Menſchen. IV.
ſind, ſo kann dieſe Thatſache eben nur durch gemeinſame Ab-
ſtammung erklärt werden. Und dieſe Erklärung erſcheint um
ſo ſicherer, wenn wir die ſpäter eintretende Sonderung oder
Divergenz jener Keimformen verfolgen. Je näher ſich zwei
Thierformen in der geſammten Körperbildung und alſo auch im
natürlichen Syſtem ſtehen, deſto länger bleiben ſich auch ihre
Embryonen ähnlich, und deſto enger hängen ſie auch im Stamm-
baum der betreffenden Gruppe zuſammen, deſto näher ſind ſie
„ſtammverwandt“. Daher erſcheinen die Embryonen des Menſchen
und der Menſchenaffen auch ſpäter noch höchſt ähnlich, auf einer
hoch entwickelten Bildungsſtufe, auf welcher ihre Unterſchiede von
den Embryonen anderer Säugethiere ſofort erkennbar ſind. Ich
habe dieſe bedeutungsvolle Thatſache ſowohl in der natürlichen
Schöpfungsgeſchichte (1898, Taf. 2 und 3) als in der Anthro-
pogenie (1891, Taf. 6-9) durch Zuſammenſtellung entſprechender
Bildungsſtufen von einer Anzahl verſchiedener Wirbelthiere
illuſtrirt.

Die Keimhüllen des Menſchen. Die hohe phylogenetiſche
Bedeutung der eben beſprochenen Aehnlichkeit tritt nicht nur bei
Vergleichung der Vertebraten-Embryonen ſelbſt hervor, ſondern
auch bei derjenigen ihrer Keimhüllen. Es zeichnen ſich nämlich
alle Wirbelthiere der drei höheren Klaſſen, Reptilien, Vögel und
Säugethiere, vor den niederen Claſſen durch die Bildung eigen-
thümlicher Embryonal-Hüllen aus, des Amnion (Waſſerhaut)
und des Serolemma (Seröſe Haut). In dieſen mit Waſſer ge-
füllten Säcken liegt der Embryo eingeſchloſſen und iſt dadurch
gegen Druck und Stoß geſchützt. Dieſe zweckmäßige Schutz-
einrichtung iſt wahrſcheinlich erſt während der permiſchen Periode
entſtanden, als die älteſten Reptilien (Proreptilien), die gemein-
ſamen Stammformen der Amnionthiere oder Amnioten,
vollſtändig an das Landleben ſich anpaßten. Bei ihren direkten
Vorfahren, den Amphibien, fehlt dieſe Hüllenbildung noch ebenſo

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[76/0092] Keimbildung des Menſchen. IV. ſind, ſo kann dieſe Thatſache eben nur durch gemeinſame Ab- ſtammung erklärt werden. Und dieſe Erklärung erſcheint um ſo ſicherer, wenn wir die ſpäter eintretende Sonderung oder Divergenz jener Keimformen verfolgen. Je näher ſich zwei Thierformen in der geſammten Körperbildung und alſo auch im natürlichen Syſtem ſtehen, deſto länger bleiben ſich auch ihre Embryonen ähnlich, und deſto enger hängen ſie auch im Stamm- baum der betreffenden Gruppe zuſammen, deſto näher ſind ſie „ſtammverwandt“. Daher erſcheinen die Embryonen des Menſchen und der Menſchenaffen auch ſpäter noch höchſt ähnlich, auf einer hoch entwickelten Bildungsſtufe, auf welcher ihre Unterſchiede von den Embryonen anderer Säugethiere ſofort erkennbar ſind. Ich habe dieſe bedeutungsvolle Thatſache ſowohl in der natürlichen Schöpfungsgeſchichte (1898, Taf. 2 und 3) als in der Anthro- pogenie (1891, Taf. 6-9) durch Zuſammenſtellung entſprechender Bildungsſtufen von einer Anzahl verſchiedener Wirbelthiere illuſtrirt. Die Keimhüllen des Menſchen. Die hohe phylogenetiſche Bedeutung der eben beſprochenen Aehnlichkeit tritt nicht nur bei Vergleichung der Vertebraten-Embryonen ſelbſt hervor, ſondern auch bei derjenigen ihrer Keimhüllen. Es zeichnen ſich nämlich alle Wirbelthiere der drei höheren Klaſſen, Reptilien, Vögel und Säugethiere, vor den niederen Claſſen durch die Bildung eigen- thümlicher Embryonal-Hüllen aus, des Amnion (Waſſerhaut) und des Serolemma (Seröſe Haut). In dieſen mit Waſſer ge- füllten Säcken liegt der Embryo eingeſchloſſen und iſt dadurch gegen Druck und Stoß geſchützt. Dieſe zweckmäßige Schutz- einrichtung iſt wahrſcheinlich erſt während der permiſchen Periode entſtanden, als die älteſten Reptilien (Proreptilien), die gemein- ſamen Stammformen der Amnionthiere oder Amnioten, vollſtändig an das Landleben ſich anpaßten. Bei ihren direkten Vorfahren, den Amphibien, fehlt dieſe Hüllenbildung noch ebenſo

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/92>, abgerufen am 19.04.2024.