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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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IV. Empfängniß oder Befruchtung.
wichtigen Geschlechts-Zellen in der Geschlechts-Drüse
(Gonade) ist dieselbe beim Menschen und den übrigen Säuge-
thieren; sowohl die Eier im Eierstock des Weibes (Ovarium),
als die Samenfäden im Hoden oder Samenstock des Mannes
(Spermarium) entstehen überall auf dieselbe Weise, aus Zellen,
welche ursprünglich vom Cölom-Epithel abstammen, von der
Zellenschicht, welche die Leibeshöhle auskleidet.

Empfängniß oder Befruchtung (Conception, Foecundation).
Der wichtigste Augenblick im Leben jedes Menschen, wie jedes
anderen Gewebthieres, ist das Moment, in welchem seine individuelle
Existenz beginnt; es ist der Augenblick, in welchem die Geschlechts-
zellen der beiden Eltern zusammentreffen und zur Bildung einer
einzigen einfachen Zelle verschmelzen. Diese neue Zelle, die "be-
fruchtete Eizelle", ist die individuelle Stammzelle (Cytula),
aus deren wiederholter Theilung die Zellen der Keimblätter und
die Gastrula hervorgehen. Erst mit der Bildung dieser Cytula,
also mit dem Vorgange der Befruchtung selbst, beginnt die
Existenz der Person, des selbständigen Einzelwesens. Diese
ontogenetische Thatsache ist überaus wichtig, denn aus ihr
allein schon lassen sich die weitreichendsten Schlüsse ableiten.
Zunächst folgt daraus die klare Erkenntniß, daß der Mensch,
gleich allen anderen Gewebthieren, alle persönlichen Eigenschaften,
körperliche und geistige, von seinen beiden Eltern durch Ver-
erbung
erhalten hat; und weiterhin die inhaltschwere Ueber-
zeugung, daß die neue, so entstandene Person unmöglich Anspruch
haben kann, "unsterblich" zu sein.

Die feineren Vorgänge bei der Empfängniß und der
geschlechtlichen Zeugung überhaupt sind daher von allerhöchster
Wichtigkeit; sie sind uns in ihren Einzelheiten erst seit 1875
bekannt geworden, seit Oscar Hertwig, mein damaliger
Schüler und Reisebegleiter, in Ajaccio auf Corsica seine bahn-
brechenden Untersuchungen über die Befruchtung der Thier-Eier

IV. Empfängniß oder Befruchtung.
wichtigen Geſchlechts-Zellen in der Geſchlechts-Drüſe
(Gonade) iſt dieſelbe beim Menſchen und den übrigen Säuge-
thieren; ſowohl die Eier im Eierſtock des Weibes (Ovarium),
als die Samenfäden im Hoden oder Samenſtock des Mannes
(Spermarium) entſtehen überall auf dieſelbe Weiſe, aus Zellen,
welche urſprünglich vom Cölom-Epithel abſtammen, von der
Zellenſchicht, welche die Leibeshöhle auskleidet.

Empfängniß oder Befruchtung (Conception, Foecundation).
Der wichtigſte Augenblick im Leben jedes Menſchen, wie jedes
anderen Gewebthieres, iſt das Moment, in welchem ſeine individuelle
Exiſtenz beginnt; es iſt der Augenblick, in welchem die Geſchlechts-
zellen der beiden Eltern zuſammentreffen und zur Bildung einer
einzigen einfachen Zelle verſchmelzen. Dieſe neue Zelle, die „be-
fruchtete Eizelle“, iſt die individuelle Stammzelle (Cytula),
aus deren wiederholter Theilung die Zellen der Keimblätter und
die Gaſtrula hervorgehen. Erſt mit der Bildung dieſer Cytula,
alſo mit dem Vorgange der Befruchtung ſelbſt, beginnt die
Exiſtenz der Perſon, des ſelbſtändigen Einzelweſens. Dieſe
ontogenetiſche Thatſache iſt überaus wichtig, denn aus ihr
allein ſchon laſſen ſich die weitreichendſten Schlüſſe ableiten.
Zunächſt folgt daraus die klare Erkenntniß, daß der Menſch,
gleich allen anderen Gewebthieren, alle perſönlichen Eigenſchaften,
körperliche und geiſtige, von ſeinen beiden Eltern durch Ver-
erbung
erhalten hat; und weiterhin die inhaltſchwere Ueber-
zeugung, daß die neue, ſo entſtandene Perſon unmöglich Anſpruch
haben kann, „unſterblich“ zu ſein.

Die feineren Vorgänge bei der Empfängniß und der
geſchlechtlichen Zeugung überhaupt ſind daher von allerhöchſter
Wichtigkeit; ſie ſind uns in ihren Einzelheiten erſt ſeit 1875
bekannt geworden, ſeit Oscar Hertwig, mein damaliger
Schüler und Reiſebegleiter, in Ajaccio auf Corſica ſeine bahn-
brechenden Unterſuchungen über die Befruchtung der Thier-Eier

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[73/0089] IV. Empfängniß oder Befruchtung. wichtigen Geſchlechts-Zellen in der Geſchlechts-Drüſe (Gonade) iſt dieſelbe beim Menſchen und den übrigen Säuge- thieren; ſowohl die Eier im Eierſtock des Weibes (Ovarium), als die Samenfäden im Hoden oder Samenſtock des Mannes (Spermarium) entſtehen überall auf dieſelbe Weiſe, aus Zellen, welche urſprünglich vom Cölom-Epithel abſtammen, von der Zellenſchicht, welche die Leibeshöhle auskleidet. Empfängniß oder Befruchtung (Conception, Foecundation). Der wichtigſte Augenblick im Leben jedes Menſchen, wie jedes anderen Gewebthieres, iſt das Moment, in welchem ſeine individuelle Exiſtenz beginnt; es iſt der Augenblick, in welchem die Geſchlechts- zellen der beiden Eltern zuſammentreffen und zur Bildung einer einzigen einfachen Zelle verſchmelzen. Dieſe neue Zelle, die „be- fruchtete Eizelle“, iſt die individuelle Stammzelle (Cytula), aus deren wiederholter Theilung die Zellen der Keimblätter und die Gaſtrula hervorgehen. Erſt mit der Bildung dieſer Cytula, alſo mit dem Vorgange der Befruchtung ſelbſt, beginnt die Exiſtenz der Perſon, des ſelbſtändigen Einzelweſens. Dieſe ontogenetiſche Thatſache iſt überaus wichtig, denn aus ihr allein ſchon laſſen ſich die weitreichendſten Schlüſſe ableiten. Zunächſt folgt daraus die klare Erkenntniß, daß der Menſch, gleich allen anderen Gewebthieren, alle perſönlichen Eigenſchaften, körperliche und geiſtige, von ſeinen beiden Eltern durch Ver- erbung erhalten hat; und weiterhin die inhaltſchwere Ueber- zeugung, daß die neue, ſo entſtandene Perſon unmöglich Anſpruch haben kann, „unſterblich“ zu ſein. Die feineren Vorgänge bei der Empfängniß und der geſchlechtlichen Zeugung überhaupt ſind daher von allerhöchſter Wichtigkeit; ſie ſind uns in ihren Einzelheiten erſt ſeit 1875 bekannt geworden, ſeit Oscar Hertwig, mein damaliger Schüler und Reiſebegleiter, in Ajaccio auf Corſica ſeine bahn- brechenden Unterſuchungen über die Befruchtung der Thier-Eier

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/89>, abgerufen am 20.04.2024.