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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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II. Körperbau des Menschen und Affen.
Unterschied beider Gruppen besteht darin, daß das Trommelfell
bei den Westaffen oberflächlich, dagegen bei den Ostaffen tiefer,
im Innern des Felsenbeins liegt; hier hat sich ein langer und
enger knöcherner Gehörgang entwickelt, während dieser bei den
Westaffen noch kurz und weit ist oder selbst ganz fehlt. Endlich
zeigt sich ein sehr wichtiger und durchgreifender Gegensatz beider
Gruppen darin, daß alle Katarrhinen die Gebiß-Bildung des
Menschen besitzen, nämlich 20 Milchzähne und 32 bleibende
Zähne (in jeder Kieferhälfte 2 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 2 Lücken-
zähne und 3 Mahlzähne). Die Platyrrhinen dagegen zeigen in
jeder Kieferhälfte einen Lückenzahn mehr, also im Ganzen
36 Zähne. Da diese anatomischen Unterschiede beider Affen-
gruppen ganz allgemein und durchgreifend sind, und da sie mit
der geographischen Verbreitung in den beiden getrennten Hemi-
sphären der Erde zusammenstimmen, ergiebt sich daraus die
Berechtigung ihrer scharfen systematischen Trennung, und weiter-
hin der daran geknüpften phylogenetischen Folgerung, daß seit
sehr langer Zeit (seit mehr als einer Million Jahre) sich
beide Unterordnungen in der westlichen und östlichen Hemi-
sphäre getrennt von einander entwickelt haben. Das ist für
die Stammesgeschichte unseres Geschlechts überaus wichtig; denn
der Mensch theilt alle Merkmale der echten Katarrhinen;
er hat sich aus älteren ausgestorbenen Affen dieser Unterordnung
in der Alten Welt entwickelt.

Anthropomorphen-Gruppe. Die zahlreichen Formen der
Katarrhinen, welche noch heute in Asien und Afrika leben,
werden schon seit langer Zeit in zwei natürliche Sectionen
getheilt: die geschwänzten Hundsaffen (Cynopitheca) und
die schwanzlosen Menschenaffen (Anthropomorpha). Diese
letzteren stehen dem Menschen viel näher als die ersteren, nicht
nur in dem Mangel des Schwanzes und in der allgemeinen

II. Körperbau des Menſchen und Affen.
Unterſchied beider Gruppen beſteht darin, daß das Trommelfell
bei den Weſtaffen oberflächlich, dagegen bei den Oſtaffen tiefer,
im Innern des Felſenbeins liegt; hier hat ſich ein langer und
enger knöcherner Gehörgang entwickelt, während dieſer bei den
Weſtaffen noch kurz und weit iſt oder ſelbſt ganz fehlt. Endlich
zeigt ſich ein ſehr wichtiger und durchgreifender Gegenſatz beider
Gruppen darin, daß alle Katarrhinen die Gebiß-Bildung des
Menſchen beſitzen, nämlich 20 Milchzähne und 32 bleibende
Zähne (in jeder Kieferhälfte 2 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 2 Lücken-
zähne und 3 Mahlzähne). Die Platyrrhinen dagegen zeigen in
jeder Kieferhälfte einen Lückenzahn mehr, alſo im Ganzen
36 Zähne. Da dieſe anatomiſchen Unterſchiede beider Affen-
gruppen ganz allgemein und durchgreifend ſind, und da ſie mit
der geographiſchen Verbreitung in den beiden getrennten Hemi-
ſphären der Erde zuſammenſtimmen, ergiebt ſich daraus die
Berechtigung ihrer ſcharfen ſyſtematiſchen Trennung, und weiter-
hin der daran geknüpften phylogenetiſchen Folgerung, daß ſeit
ſehr langer Zeit (ſeit mehr als einer Million Jahre) ſich
beide Unterordnungen in der weſtlichen und öſtlichen Hemi-
ſphäre getrennt von einander entwickelt haben. Das iſt für
die Stammesgeſchichte unſeres Geſchlechts überaus wichtig; denn
der Menſch theilt alle Merkmale der echten Katarrhinen;
er hat ſich aus älteren ausgeſtorbenen Affen dieſer Unterordnung
in der Alten Welt entwickelt.

Anthropomorphen-Gruppe. Die zahlreichen Formen der
Katarrhinen, welche noch heute in Aſien und Afrika leben,
werden ſchon ſeit langer Zeit in zwei natürliche Sectionen
getheilt: die geſchwänzten Hundsaffen (Cynopitheca) und
die ſchwanzloſen Menſchenaffen (Anthropomorpha). Dieſe
letzteren ſtehen dem Menſchen viel näher als die erſteren, nicht
nur in dem Mangel des Schwanzes und in der allgemeinen

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[41/0057] II. Körperbau des Menſchen und Affen. Unterſchied beider Gruppen beſteht darin, daß das Trommelfell bei den Weſtaffen oberflächlich, dagegen bei den Oſtaffen tiefer, im Innern des Felſenbeins liegt; hier hat ſich ein langer und enger knöcherner Gehörgang entwickelt, während dieſer bei den Weſtaffen noch kurz und weit iſt oder ſelbſt ganz fehlt. Endlich zeigt ſich ein ſehr wichtiger und durchgreifender Gegenſatz beider Gruppen darin, daß alle Katarrhinen die Gebiß-Bildung des Menſchen beſitzen, nämlich 20 Milchzähne und 32 bleibende Zähne (in jeder Kieferhälfte 2 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 2 Lücken- zähne und 3 Mahlzähne). Die Platyrrhinen dagegen zeigen in jeder Kieferhälfte einen Lückenzahn mehr, alſo im Ganzen 36 Zähne. Da dieſe anatomiſchen Unterſchiede beider Affen- gruppen ganz allgemein und durchgreifend ſind, und da ſie mit der geographiſchen Verbreitung in den beiden getrennten Hemi- ſphären der Erde zuſammenſtimmen, ergiebt ſich daraus die Berechtigung ihrer ſcharfen ſyſtematiſchen Trennung, und weiter- hin der daran geknüpften phylogenetiſchen Folgerung, daß ſeit ſehr langer Zeit (ſeit mehr als einer Million Jahre) ſich beide Unterordnungen in der weſtlichen und öſtlichen Hemi- ſphäre getrennt von einander entwickelt haben. Das iſt für die Stammesgeſchichte unſeres Geſchlechts überaus wichtig; denn der Menſch theilt alle Merkmale der echten Katarrhinen; er hat ſich aus älteren ausgeſtorbenen Affen dieſer Unterordnung in der Alten Welt entwickelt. Anthropomorphen-Gruppe. Die zahlreichen Formen der Katarrhinen, welche noch heute in Aſien und Afrika leben, werden ſchon ſeit langer Zeit in zwei natürliche Sectionen getheilt: die geſchwänzten Hundsaffen (Cynopitheca) und die ſchwanzloſen Menſchenaffen (Anthropomorpha). Dieſe letzteren ſtehen dem Menſchen viel näher als die erſteren, nicht nur in dem Mangel des Schwanzes und in der allgemeinen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/57>, abgerufen am 25.04.2024.