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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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II. Primaten-Natur des Menschen.
eine gemeinsame älteste Stammgruppe aller Placentalien zurück-
führbar, auf die fossilen Urzottenthiere, die Prochoriaten
der Kreideperiode. Diese schließen sich unmittelbar an die
Marsupalien-Ahnen der Juraperiode an. Als wichtigste Vertreter
jener vier Hauptgruppen in der Gegenwart führen wir hier nur
die Nagethiere, Hufthiere, Raubthiere und Herrenthiere an. Zur
Legion der Herrenthiere (Primates) gehören die drei
Ordnungen der Halbaffen (Prosimiae), der echten Affen (Simiae)
und der Menschen (Anthropi). Alle Angehörigen dieser drei
Ordnungen stimmen in vielen wichtigen Eigenthümlichkeiten
überein und unterscheiden sich dadurch von den 23 übrigen
Ordnungen der Zottenthiere. Besonders zeichnen sie sich durch
lange Beine aus, welche ursprünglich der kletternden Lebensweise
auf Bäumen angepaßt sind. Hände und Füße sind fünfzehig,
und die langen Finger vortrefflich zum Greifen und zum Um-
fassen der Baumzweige geeignet; sie tragen entweder theilweise
oder sämmtlich Nägel (keine Krallen). Das Gebiß ist voll-
ständig, aus allen vier Zahngruppen zusammengesetzt (Schneide-
zähne, Eckzähne, Lückenzähne, Backenzähne). Auch durch wichtige
Eigenthümlichkeiten im besonderen Bau des Schädels und des
Gehirns unterscheiden sich die Herrenthiere von den übrigen
Zottenthieren, und zwar um so auffälliger, je höher sie aus-
gebildet, je später sie in der Erdgeschichte aufgetreten sind. In
allen diesen wichtigen anatomischen Beziehungen stimmt unser
menschlicher Organismus mit demjenigen der übrigen Primaten
überein: der Mensch ist ein echtes Herrenthier.

Affen-Natur des Menschen. Eine unbefangene und
gründliche Vergleichung des Körperbaues der Primaten läßt
zunächst in dieser höchst entwickelten Mammalien-Legion zwei
Ordnungen unterscheiden: Halbaffen (Prosimiae oder
Hemipitheci) und Affen (Simiae oder Pitheci). Die ersteren
erscheinen in jeder Beziehung als die niedere und ältere, die

II. Primaten-Natur des Menſchen.
eine gemeinſame älteſte Stammgruppe aller Placentalien zurück-
führbar, auf die foſſilen Urzottenthiere, die Prochoriaten
der Kreideperiode. Dieſe ſchließen ſich unmittelbar an die
Marſupalien-Ahnen der Juraperiode an. Als wichtigſte Vertreter
jener vier Hauptgruppen in der Gegenwart führen wir hier nur
die Nagethiere, Hufthiere, Raubthiere und Herrenthiere an. Zur
Legion der Herrenthiere (Primateſ) gehören die drei
Ordnungen der Halbaffen (Proſimiae), der echten Affen (Simiae)
und der Menſchen (Anthropi). Alle Angehörigen dieſer drei
Ordnungen ſtimmen in vielen wichtigen Eigenthümlichkeiten
überein und unterſcheiden ſich dadurch von den 23 übrigen
Ordnungen der Zottenthiere. Beſonders zeichnen ſie ſich durch
lange Beine aus, welche urſprünglich der kletternden Lebensweiſe
auf Bäumen angepaßt ſind. Hände und Füße ſind fünfzehig,
und die langen Finger vortrefflich zum Greifen und zum Um-
faſſen der Baumzweige geeignet; ſie tragen entweder theilweiſe
oder ſämmtlich Nägel (keine Krallen). Das Gebiß iſt voll-
ſtändig, aus allen vier Zahngruppen zuſammengeſetzt (Schneide-
zähne, Eckzähne, Lückenzähne, Backenzähne). Auch durch wichtige
Eigenthümlichkeiten im beſonderen Bau des Schädels und des
Gehirns unterſcheiden ſich die Herrenthiere von den übrigen
Zottenthieren, und zwar um ſo auffälliger, je höher ſie aus-
gebildet, je ſpäter ſie in der Erdgeſchichte aufgetreten ſind. In
allen dieſen wichtigen anatomiſchen Beziehungen ſtimmt unſer
menſchlicher Organismus mit demjenigen der übrigen Primaten
überein: der Menſch iſt ein echtes Herrenthier.

Affen-Natur des Menſchen. Eine unbefangene und
gründliche Vergleichung des Körperbaues der Primaten läßt
zunächſt in dieſer höchſt entwickelten Mammalien-Legion zwei
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[39/0055] II. Primaten-Natur des Menſchen. eine gemeinſame älteſte Stammgruppe aller Placentalien zurück- führbar, auf die foſſilen Urzottenthiere, die Prochoriaten der Kreideperiode. Dieſe ſchließen ſich unmittelbar an die Marſupalien-Ahnen der Juraperiode an. Als wichtigſte Vertreter jener vier Hauptgruppen in der Gegenwart führen wir hier nur die Nagethiere, Hufthiere, Raubthiere und Herrenthiere an. Zur Legion der Herrenthiere (Primateſ) gehören die drei Ordnungen der Halbaffen (Proſimiae), der echten Affen (Simiae) und der Menſchen (Anthropi). Alle Angehörigen dieſer drei Ordnungen ſtimmen in vielen wichtigen Eigenthümlichkeiten überein und unterſcheiden ſich dadurch von den 23 übrigen Ordnungen der Zottenthiere. Beſonders zeichnen ſie ſich durch lange Beine aus, welche urſprünglich der kletternden Lebensweiſe auf Bäumen angepaßt ſind. Hände und Füße ſind fünfzehig, und die langen Finger vortrefflich zum Greifen und zum Um- faſſen der Baumzweige geeignet; ſie tragen entweder theilweiſe oder ſämmtlich Nägel (keine Krallen). Das Gebiß iſt voll- ſtändig, aus allen vier Zahngruppen zuſammengeſetzt (Schneide- zähne, Eckzähne, Lückenzähne, Backenzähne). Auch durch wichtige Eigenthümlichkeiten im beſonderen Bau des Schädels und des Gehirns unterſcheiden ſich die Herrenthiere von den übrigen Zottenthieren, und zwar um ſo auffälliger, je höher ſie aus- gebildet, je ſpäter ſie in der Erdgeſchichte aufgetreten ſind. In allen dieſen wichtigen anatomiſchen Beziehungen ſtimmt unſer menſchlicher Organismus mit demjenigen der übrigen Primaten überein: der Menſch iſt ein echtes Herrenthier. Affen-Natur des Menſchen. Eine unbefangene und gründliche Vergleichung des Körperbaues der Primaten läßt zunächſt in dieſer höchſt entwickelten Mammalien-Legion zwei Ordnungen unterſcheiden: Halbaffen (Proſimiae oder Hemipitheci) und Affen (Simiae oder Pitheci). Die erſteren erſcheinen in jeder Beziehung als die niedere und ältere, die

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/55>, abgerufen am 19.04.2024.