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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Fortschritte der Anthropologie. XX.
Indem wir allgemein die Ergebnisse dieser und anderer Dis-
ciplinen zusammenfaßten und in der Stammesgeschichte der
Organismen den Schlüssel zu ihrem einheitlichen Verständniß
fanden, gelangten wir zur Begründung jener monistischen
Biologie,
deren Principien ich (1866) in meiner "Generellen
Morphologie" festzulegen versucht habe.

V. Fortschritte der Anthropologie. Allen anderen Wissen-
schaften voran steht in gewissem Sinne die wahre Menschen-
kunde,
die wirklich vernünftige Anthropologie. Das Wort des
alten Weisen: "Mensch, erkenne dich selbst" (Homo, nosce
te ipsum
) und das andere berühmte Wort: "Der Mensch ist
das Maß aller Dinge" sind ja von Alters her anerkannt und
angewendet. Und dennoch hat diese Wissenschaft -- im weitesten
Sinne genommen -- länger als alle anderen in den Ketten der
Tradition und des Aberglaubens geschmachtet. Wir haben im
ersten Abschnitt gesehen, wie langsam und spät sich erst die
Kenntniß vom menschlichen Organismus entwickelt hat. Einer
ihrer wichtigsten Zweige, die Keimesgeschichte, wurde erst 1828
(durch Baer) und ein anderer, nicht minder wichtiger, die
Zellenlehre, erst 1838 (durch Schwann) sicher begründet. Noch
später aber wurde die "Frage aller Fragen" gelöst, das gewaltige
Räthsel vom "Ursprung des Menschen". Obgleich
Lamarck schon (1809) den einzigen Weg zur richtigen Lösung
desselben gezeigt und "die Abstammung des Menschen vom Affen"
behauptet hatte, gelang es doch Darwin erst fünfzig Jahre
später, diese Behauptung sicher zu begründen, und erst 1863
stellte Huxley in seinen "Zeugnissen für die Stellung des
Menschen in der Natur" die gewichtigsten Beweise dafür zusammen.
Ich selbst habe sodann in meiner Anthropogenie (1874) den ersten
Versuch gemacht, die ganze Reihe der Ahnen, durch welche sich
unser Geschlecht im Laufe vieler Jahrmillionen aus dem Thierreich
langsam entwickelt hat, im historischen Zusammenhang darzustellen.

Fortſchritte der Anthropologie. XX.
Indem wir allgemein die Ergebniſſe dieſer und anderer Dis-
ciplinen zuſammenfaßten und in der Stammesgeſchichte der
Organismen den Schlüſſel zu ihrem einheitlichen Verſtändniß
fanden, gelangten wir zur Begründung jener moniſtiſchen
Biologie,
deren Principien ich (1866) in meiner „Generellen
Morphologie“ feſtzulegen verſucht habe.

V. Fortſchritte der Anthropologie. Allen anderen Wiſſen-
ſchaften voran ſteht in gewiſſem Sinne die wahre Menſchen-
kunde,
die wirklich vernünftige Anthropologie. Das Wort des
alten Weiſen: „Menſch, erkenne dich ſelbſt“ (Homo, noſce
te ipſum
) und das andere berühmte Wort: „Der Menſch iſt
das Maß aller Dinge“ ſind ja von Alters her anerkannt und
angewendet. Und dennoch hat dieſe Wiſſenſchaft — im weiteſten
Sinne genommen — länger als alle anderen in den Ketten der
Tradition und des Aberglaubens geſchmachtet. Wir haben im
erſten Abſchnitt geſehen, wie langſam und ſpät ſich erſt die
Kenntniß vom menſchlichen Organismus entwickelt hat. Einer
ihrer wichtigſten Zweige, die Keimesgeſchichte, wurde erſt 1828
(durch Baer) und ein anderer, nicht minder wichtiger, die
Zellenlehre, erſt 1838 (durch Schwann) ſicher begründet. Noch
ſpäter aber wurde die „Frage aller Fragen“ gelöſt, das gewaltige
Räthſel vom „Urſprung des Menſchen“. Obgleich
Lamarck ſchon (1809) den einzigen Weg zur richtigen Löſung
desſelben gezeigt und „die Abſtammung des Menſchen vom Affen“
behauptet hatte, gelang es doch Darwin erſt fünfzig Jahre
ſpäter, dieſe Behauptung ſicher zu begründen, und erſt 1863
ſtellte Huxley in ſeinen „Zeugniſſen für die Stellung des
Menſchen in der Natur“ die gewichtigſten Beweiſe dafür zuſammen.
Ich ſelbſt habe ſodann in meiner Anthropogenie (1874) den erſten
Verſuch gemacht, die ganze Reihe der Ahnen, durch welche ſich
unſer Geſchlecht im Laufe vieler Jahrmillionen aus dem Thierreich
langſam entwickelt hat, im hiſtoriſchen Zuſammenhang darzuſtellen.

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[436/0452] Fortſchritte der Anthropologie. XX. Indem wir allgemein die Ergebniſſe dieſer und anderer Dis- ciplinen zuſammenfaßten und in der Stammesgeſchichte der Organismen den Schlüſſel zu ihrem einheitlichen Verſtändniß fanden, gelangten wir zur Begründung jener moniſtiſchen Biologie, deren Principien ich (1866) in meiner „Generellen Morphologie“ feſtzulegen verſucht habe. V. Fortſchritte der Anthropologie. Allen anderen Wiſſen- ſchaften voran ſteht in gewiſſem Sinne die wahre Menſchen- kunde, die wirklich vernünftige Anthropologie. Das Wort des alten Weiſen: „Menſch, erkenne dich ſelbſt“ (Homo, noſce te ipſum) und das andere berühmte Wort: „Der Menſch iſt das Maß aller Dinge“ ſind ja von Alters her anerkannt und angewendet. Und dennoch hat dieſe Wiſſenſchaft — im weiteſten Sinne genommen — länger als alle anderen in den Ketten der Tradition und des Aberglaubens geſchmachtet. Wir haben im erſten Abſchnitt geſehen, wie langſam und ſpät ſich erſt die Kenntniß vom menſchlichen Organismus entwickelt hat. Einer ihrer wichtigſten Zweige, die Keimesgeſchichte, wurde erſt 1828 (durch Baer) und ein anderer, nicht minder wichtiger, die Zellenlehre, erſt 1838 (durch Schwann) ſicher begründet. Noch ſpäter aber wurde die „Frage aller Fragen“ gelöſt, das gewaltige Räthſel vom „Urſprung des Menſchen“. Obgleich Lamarck ſchon (1809) den einzigen Weg zur richtigen Löſung desſelben gezeigt und „die Abſtammung des Menſchen vom Affen“ behauptet hatte, gelang es doch Darwin erſt fünfzig Jahre ſpäter, dieſe Behauptung ſicher zu begründen, und erſt 1863 ſtellte Huxley in ſeinen „Zeugniſſen für die Stellung des Menſchen in der Natur“ die gewichtigſten Beweiſe dafür zuſammen. Ich ſelbſt habe ſodann in meiner Anthropogenie (1874) den erſten Verſuch gemacht, die ganze Reihe der Ahnen, durch welche ſich unſer Geſchlecht im Laufe vieler Jahrmillionen aus dem Thierreich langſam entwickelt hat, im hiſtoriſchen Zuſammenhang darzuſtellen.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/452>, abgerufen am 20.04.2024.